Wozu das alles?

Ob und wie es möglich sei, Philosophie in Blogform zu betrieben, das herauszufinden stand stets auch hinter dem Treiben auf Schwein & Zeit. Nach einigen Jahren – mit sporadischen Überlegungen, die sich nie zu einem Ganzen fügen wollten und schließlich von immer sporadischer notierten Einzelheiten abgelöst wurden – bist du geneigt, diese Form für ungeeignet zu halten, ohne dir über die Gründe sicher zu sein.

In einem undatierten (zwei oder drei Jahre alten) Beitrag bei Information Philosophie hat Thorsten Thiel über „Blogs in der Philosophie“ geschrieben. Darin schaut er, was vom Hype des Bloggens, der in den 2000ern auch die Geisteswissenschaften erfasste, übrig geblieben ist und wie sich die philosophische Blogosphäre zu der Stilfrage verhält, die in keinem anderen Fach so drängend gestellt wird: Philosophie bedarf der langen Weile im geschützten Elfenbeinturm – oder der Auseinandersetzung mit dem Volk, das heutzutage eben auf der digitalen Agora herumspringt?

 

Philosophie in Blogform?

Im deutschsprachigen Raum herrschen noch größere Vorbehalte gegen das im weitesten Sinne geisteswissenschaftliche Bloggen als im englischsprachigen, dessen Blogosphäre auch aus anderen Gründen als der kontinental-akademischen Kulturweitaus größer und lebendiger ist.

Blogs sind keine Online-Fachblätter, sondern „ein Ort für den Schnellschuss“, der Kritik und Austausch sucht, wie Thiel als Mitbetreiber des politisch-philosophischen Theorieblogs aus eigener Erfahrung weiß. Sie sind ein gutes Training, brauchen wenig Ressourcen und bieten die Chance, Reputation jenseits etablierter Strukturen zu erwerben. Man sieht die Professoren förmlich die Nase unter den gerunzelten Stirn rümpfen.

Auf seiner „Safari durch die Blogosphäre“ unterscheidet Thiel Blogs nach ihrem Zweck, ob sie also

  • der Forschung (ein Wissenschaftler schreibt über seine Interessen),
  • dem Außenauftritt (Fachleute versuchen Fachfragen zu popularisieren),
  • der Lehre (meist von Studis aufgesetzte kollaborative Sandkästen) oder
  • der Wissenschaftskommunikation (Aktuelles aus dem akademischen Betrieb)

dienen. Er liefert zu jedem Rubrum unverlinkte Beispiele, die – sofern sie deutschsprachig sind – gemeinsam haben, (inzwischen) nicht besonders aktiv oder bereits abgeschaltet zu sein. Björn Haferkamps philoblog.de etwa hatte 2017 nur zwei Meldungen – ein Link und eine Klage über Streaming-Anbieter. Georg Seeßlens nicht aufgeführtes, einstmals rühriges Blog schweigt seit einem Jahr.

Richtig was los ist nur auf den Portalen, die von mehreren Wissenschaftsblogs gespeist werden und hinter denen ein Unternehmen oder eine Institution steht:

Die Liste könnte noch um das Verfassungsblog ergänzt werden, das wöchentlich mehrere Beiträge bringt, von einem Wissenschaftskolleg betrieben wird und dem Namen zum Trotz eher Magazin-Charakter hat.

Von Einzelpersonen betriebene Portale erleiden oft ein ähnliches Schicksal wie alleinstehende Blogs. Bei Getidan sind nach wie vor ästhetische und politischen Betrachtungen von Seeßlen und anderen zu lesen, die allerdings vornehmlich für etablierte Medien schreiben. Bei philosophieblog.de dagegen werden trotz einer Latte von Bloggern seit geraumer Zeit hauptsächlich mittels Zeilenumbruch zu „Gedichten“ aufgepimpte „Aphorismen“ veröffentlicht.

Vergleichsweise häufig, stilsicher und fundiert dagegen liefert „Bersarin“ bei Aisthesis seit Jahren „Texte zur Ästhetik, Philosophie und Kunstkritik sowie vermischte Bemerkungen“, die Lesern (hier sind Frauen nicht „mitgemeint“) von Don Alphonso besonders gut gefallen dürften. Nicht ganz so oft schreibt Denis Walter über seine Forschung zur antiken Philosophie. Sein Blog ist Teil des Hypotheses-Portals. Die akademische Anbindung hat den Preis, „dass ich nicht nur ab und an meinen Blog mit Inhalt fülle, sondern hauptsächlich an meinen Forschungsprojekten arbeite“, wie Walter Anfang Dezember schrieb.

 

Besseres zu tun

Da kann man genauso gut was mit Steinen machen. (Sisyphos-Darstellung Tizians, Wikipedia, gemeinfrei)

Blogposts, in denen erklärt wird, warum so lange nichts mehr veröffentlicht worden ist, bilden ein eigenes Genre des elektronischen Schreibens. Im August legte Lothar Struck im Begleitschreiben, das sich der Literatur im Allgemeinen und Peter Handke im Besonderen widmet, einen Text aus nämlichem Genre vor, der viele gute Gründe aufführt, warum alles ein besserer Zeitvertreib ist als um Klugheit bemühte Schreibe ins Internet zu stellen. Meist ist das auch schon die vollkommen ausreichende Begründung, warum ein Blog lange Zeit brach liegt.

Auch bei Struck ist es die klassische Schreibarbeit, bei der am Ende ein (inzwischen erschienenes) Buch herauskommt, der er eine Weile den Vorzug vorm Bloggen gab. Da es also nicht die einsame, nervenaufreibende und keinen Lohn versprechende Tätigkeit selbst ist, sondern die Art der Veröffentlichung, muss es besondere Gründe geben, warum das Schreiben im Internet stets das Nachsehen hat, wenn die knappe Ressource Zeit zu verteilen ist. Strucks Erklärung enthält dazu manchen Hinweis, obwohl bzw. weil sie „weder Rechenschaft noch Anklage werden soll“.

 

Überangebot

En passant erwähnt er das Überangebot. Es wird mehr als genug geschrieben. Allein im deutschsprachigen Internet gibt es entmutigend viel faszinierendes und kluges Zeug zu lesen (das allerdings unter den Terabytes an Desinformation, Reklame und Hass zu finden eine Aufgabe für sich ist). Kaum jemand schafft es, auch nur jeden Tweet in der persönlichen Timelime zu lesen, geschweige denn die darin verlinkten Texte. Die Library of Congress, die Anspruch auf den Titel der größten und umfassendsten Bibliothek der Welt erhebt, kündigte jüngst an, nicht mehr wie seit 2006 jede einzelne Wortmeldung auf Twitter zu archivieren. Inzwischen werden pro Sekunde 6.000 Tweets veröffentlicht, das ist ihr zu viel. Der Druck auf Papier ist weniger denn je eine Hürde: Während 2015 über 400 Stunden Videomaterial pro Minute bei Youtube hochgeladen wurden, spülten deutsche Verlage fast 90.000 Neu- und Erstauflagen in die Regale. Wer sich nur einen Tag lang mit jedem dieser neuen Bücher eines Jahrgangs beschäftigen wollte, hätte 247 Jahre lang ununterbrochen zu tun.

Wozu das persönliche Eimerchen in die wachsenden Flut schütten? (Foto: Gerd Altmann, pixabay.com, CC0)

Es wird mehr geschrieben denn je in der Menschheitsgeschichte, was den Kulturpessimismus nur widerlegt, um ihn auf eine höhere Ebene zu heben, wenn man trotz der Herrschaft der Zahl auf den Unterschied zwischen Quantität und Qualität besteht. Gleichwohl: Kein Lesehungriger muss mehr darben und niemand wartet auf das, was du so schreibst. Also wozu das alles?

 

Alles fertig

Die Postmoderne geht davon aus, nichts Neues, nur noch Variation des vollständig Bestehenden sei möglich, sei es als Zitat, Bruch oder Kombination. Selbst die ach so innovativen Technologie-Unternehmen erfinden Sachen wie das Taxi und den Bus noch einmal, nur halt mit App, wie die Daily Show in ihrem Jahresrückblick aufspießt:

Nicht nur Strucks „Überdruss am Füttern der Blogmaschine […] hat natürlich auch damit zu tun, dass vieles oder womöglich alles längst mehrmals gesagt wurde.“ Irgendwann hat man die eigene Position in Literaturkritik, Philosophie oder Politik gefunden und hinreichend dargestellt. Will man nicht sich (und andere) langweilen, bliebe noch, dem jeweils aktuellen Trend hinterherzuschreiben, also das Überangebot noch mehr zu vergrößern. Hört man nur den Deutschlandfunk, gibt es genug Anlässe zu einem Kommentar, der einem dann abends um 19:05 Uhr von den DLF-Redakteuren abgenommen wird, die überdies das Tagesgeschehen noch zusätzlich mit einem Podcast einordnen. Wer soll das alles lesen und hören, was allein ein Sender unter vielen täglich raushaut? Wer soll sich da noch mit einem kleinen Blog reindrängeln? Wozu das alles?

 

Desinteresse

Wozu das alles? Entweder man schreibt oder man lässt es bleiben. Das eine ist so gut wie das andere. Braucht und sucht man partout einen Grund, sich diese Mühsal anzutun, ist es ratsam, sich an Epiktet zu halten und zu überlegen, was in der eigenen Macht liegt.

Wer schreiben will, um möglichst viele Leser zu finden, sollte es bleiben lassen: Auf jeden Stephen King, auf jede J. K. Rowling kommen Tausende, die darüber verrückt oder zum Säufer geworden sind, nicht einmal annähernd mit deren Leserschaft mithalten zu können, obwohl sie „viel besser“ oder „genau das gleiche“ schreiben. Im Internet ist das nicht anders: Die Zahl der Follower ist nie ein Zeichen für die Qualität dessen, was getwittert wird, weshalb es auch kein Anlass zur Publikumsbeschimpfung ist, dass der Druide Lichtwolf bei Facebook mit seinen Traumfängern doppelt so viele Likes hat wie die Zeitschrift Lichtwolf.

Auch wenn die gesamte Marketingbranche vom gegenteiligen Versprechen lebt, kann man weder wissen noch beeinflussen, was den Rest der Welt wirklich interessiert. Wüssten es die großen Datensammler von Amazon, Google und Facebook, würden ihre Algorithmen längst die Bestseller schreiben. Sehr gut gelingt ihnen nur, den Leuten aus dem Überangebot das herauszufiltern, was sie am liebsten haben: Affirmation durch mehr vom Gleichen.

Wer die Aufklärung noch nicht ganz aufgegeben hat, erhofft sich vom öffentlichen Vernunftgebrauch freilich mehr, nämlich den Austausch. Unter Walters Posts über die antike Philosophie finden sich durchweg null Kommentare, anderswo sieht es nicht besser aus, sobald der Anspruch des Blogs über Popkultur und Verschwörungstheorien hinausgeht. Struck verzeichnet auch seitens seiner Leserschaft schwindendes Interesse und macht das an den schwindenden Kommentaren unter seinen Posts fest. Da er der Eitelkeit auch nicht verdächtiger ist als andere Blogger, ist es wohl wirklich Ernüchterung darüber, weder Zustimmung noch Widerspruch zu erhalten – und dabei hat sich das Begleitschreiben im Laufe der Jahre eine ebenso rege wie kultivierte Stammleserschaft erworben.

Wer also schreibt, um in den Austausch mit wenigstens ein paar Lesern zu treten, muss sich beim Ausbleiben von Reaktionen fragen: Wozu das alles?

 

Ökonomie

Ebenso wenig, wie hinter dem Überdruss die verletzte Eitelkeit steht, wird die Kostennutzenrechnung in Strucks Fall das Problem sein (zumal er sich mit seinem Blog jenseits des Betriebs erfolgreich als der Handke-Spezialist etabliert hat). Wenn er auf seine Veröffentlichungen hinweist, dann eben als Hinweis für seine Leserschaft. Andernorts, etwa im Blog „Geist und Gegenwart“ von Gilbert Dietrich („Philosoph und Personalmanager aus Berlin“) verdirbt der überdeutliche Wille zur Selbstvermarktung auch manch guten Beitrag (etwa den zur Postfaktizität): „Lade dir das kostenlose E-Book mit den 10 besten Texten zur Philosophie für dein Leben herunter!“ – Affiliate-Links, rührige Social-Media-Aktivitäten und trendbewusste Posts zeigen, dass hier einer das System verstanden hat.

Aber davon leben kann Dietrich gewiss nicht. Alle einstigen Hoffnungen auf Monetarisierung des Bloggens dürfen als gescheitert angesehen werden. Die Großblogger müssen zusehen, in möglichst viele Türen ihren Fuß hineinzukriegen, für Lesungen und Konferenzauftritte gebucht zu werden, und ansonsten einem Brotberuf nachgehen, in dem sie für große Medienhäuser bloggen bzw. ohne den sie viel mehr schreiben könnten. Noch mehr – und das, obwohl es längst mehr Autoren als Leser gibt, wie der Germanist Jochen Hörisch kürzlich in der NZZ bemerkte.

Was im Übermaß vorhanden ist, nähert sich der Wertlosigkeit an. Selbst der flachste Text will geschrieben werden, was ein Stündchen dauert. Geht es um Philosophie oder Fragen der Literaturkritik, will vorher noch gut was gelesen und bedacht sein – was die meisten Blogger dieser Couleur ohnehin täten. (Auch in abhängiger Beschäftigung ist es ja längst üblich, die Fortbildung durch Lektüre als Freizeitvergnügen in die Zeit nach Feierabend auszulagern.) An den digitalen Spendenhüten von Flattr bis Steady und an der Reklame von Affiliate-Links bis AdSense verdienen hauptsächlich die Infrastrukturanbieter. Wenn es gut läuft, bleibt beim Blogger genug hängen, um die Domainmiete zu bezahlen. Wenn es ums Geld geht, kann man also besser Zeitungen austragen als bloggen.

 

Wozu also das alles?

Eine Antwort finden weder Struck noch Thiel, der statt eines Fazits Tipps anbietet, „die beim Schreiben und Organisieren eines Blogs helfen sollen“, aber die skeptische Geisteswissenschaftlerin nur in ihrem Argwohn bestätigen, die Form befördere auch bei einem höheren Anspruch den oberflächlichen Schnellschuss, an den zu gewöhnen nicht folgenlos für das der Branche eigene Lesen, Denken und Schreiben ist: Kant und Hegel hätten nicht gebloggt, heute würden sie es vielleicht tun und (darum) keine dicken Schwarten schreiben (können).

Stil und Belege seien demnach zu sperrig fürs Netz, mehr als 1.000 Wörter pro Post sind zu viel (dieser Post überschreitet die Grenze des Zumutbaren ums Vierfache), ein klar strukturierter Gedanke, „wenig Jargon und etwas Humor“ sowie viele Links und die Aufforderung zur Diskussion – und viele Zwischenüberschriften plus noch mehr Bilder, ließe sich ergänzen.

Der einzige Sinn, den Thiel der Bloggerei abgewinnen kann, besteht in dem guten Training, das es darstellt, sich regelmäßig zum öffentlichen Schreiben zu überwinden; ganz wie sich andere zum regelmäßigen Gang ins Fitnessstudio zwingen, der doch immerhin mit Kraftgewinn lockt. Das allerdings tut auch der selbstverordnete Schreibdruck, jeden Tag irgendwas zu posten, nur halt obenrum. Und wo man es nicht zur Psychohygiene oder Selbsttherapie tut, bliebe noch der redliche Zweck, das Internet nicht bloß dem Hass und der Reklame überlassen zu wollen.

Wenn es aber um Philosophie in Blogform geht, dann ist es falsch, der Chose einen Sinn oder Zweck unterjubeln zu wollen, den sie nicht hat, denn für eine Bloggerei mit irgendwie philosophischem Anspruch gilt das gleiche wie für die Philosophie selbst:

„die einzige eines höheren Menschen würdige Einstellung ist das beharrliche Festhalten an einer Tätigkeit, die er als nutzlos erkennt.“ (Fernando Pessoa)

2 Gedanken zu „Wozu das alles?“

  1. Der einzige Sinn, den Thiel der Bloggerei abgewinnen kann, besteht in dem guten Training, das es darstellt, sich regelmäßig zum öffentlichen Schreiben zu überwinden; ganz wie sich andere zum regelmäßigen Gang ins Fitnessstudio zwingen, der doch immerhin mit Kraftgewinn lockt.
    Der Vergleich ist ganz gut. Wobei der Gang zum Fitnessstudio nebst Übungen an den Geräten dort nicht automatisch zu einer Verbesserung der Gesundheit oder auch nur der Kraft führt. Sinnvoll ist es nur mit dem richtigen Training, welches – wie beim Bloggen – durch die Kommunikation mit anderen perfektioniert wird. Zu Beginn war das Bloggen für mich eben auch ein Disziplinierungsmedium was meine (gelegentlich voreiligen) Thesen anging. Beim Recherchieren wurde so manches (Vor-)Urteil revidiert und der ein oder andere Artikel landete im Papierkorb.

    „Der“ Handke-Spezialist bin ich maximal in der sogenannten Bloggerwelt. Im akademischen Bereich werde ich freundlich aufgenommen; zitiert wird aber aus meinen Büchern und Texten eher nicht. Im Feuilleton bin ich praktisch nicht existent. Aber es stimmt: Ohne das Internet hätte ich nicht einmal diesen Status. Immerhin.

Schreiben Sie einen Kommentar