Schreibdruck

Vor einem ganzen Weilchen hast du in der ver.di-Zeitung „Publik“ von einem Mann gelesen, der sich nach der Frühverrentung ein Zubrot als Briefträger verdient. Dabei schnappt er allerhand Lokalkolorit auf, das er anscheinend erfolgreich als Regionalkrimi-Autor verwertet, was ihm das Portrait eingebracht hat. Darin heißt es, er schriebe pro Tag vier Seiten. Ein ähnlicher Tagessatz ist von Karl May überliefert.

Auch wenn mal dahingestellt sei, was mit einer „Seite“ gemeint ist (eine Normseite mit 1.500 Zeichen ist das eine, eine Seite in Word oder im Taschenbuch das ganz andere, denn da kann die Wortzahl, wie sich jeder selbst überzeugen kann, erheblich variieren), so hast du doch aufgemerkt.

Es wäre leicht, den fleißig schreibenden Postboten damit abzukanzeln, dass sich täglich vier Seiten Schund leicht und schnell runterreißen lassen – noch dazu, wenn man in der Morgenstund bloß ein paar Stunden zu malochen hat. Vor Jahren bereits hast du die Thematik mit dem Kollegen Frost so weit diskutiert, dass er gewettet hat, einen Krimi binnen eines halben Jahres runterkloppen zu können. Figuren und Handlung entwickelten aber ein immer komplizierteres Eigenleben und so kam „Hartes Land“ erst letztes Jahr raus – als erster Teil einer auf mehrere Bücher ausgelegten Thriller-Reihe… Glücklich also, wer nicht zu anspruchsvoll ist und bei Stoffen bleibt, die sich ohne Scham und Skrupel „wegschreiben“ lassen.

Nicht die geschriebene Menge, sondern die Disziplin ist bewundernswert im Fall des Krimiautors aus dem Gewerkschaftsblatt. Gut einen Monat ist es her, dass du den Hiatus in „Schwein und Zeit“ mit dem Vorsatz beendet hast, fortan jeden Tag etwas zu schreiben. Das heißt: dich jeden Tag zu einer Nachricht zu zwingen, auch und vor allem gegen das Gefühl, gar nichts zu schreiben zu haben, zu müde oder betrunken zu sein, oder was der Entschuldigungen noch so ist.

Ziel war und ist, Schreibdruck aufzubauen. Hemingway sprach sinngemäß von einem Dämon, der einen zum Schreiben zwingt. Entweder man hat ihn und schreibt – oder nicht. Man kann ihn aber auch haben und sich von ihm ablenken. Ein Brotberuf und die abendlichen Tröstungen, die er nötig macht, ist die populärste und effektivste „Methode“.

Du hast deine Zweifel, ob der schreibende Postbote einen solchen Dämon hat. Wenn du jenen mit einem gewissen Hochmut betrachtest, dann weil er zu den fröhlichen Schreibern gehört, für die das ganze ein lustiges Hobby ist, über dessen ach so unerwartete Ruhmesfrüchte sie sich ehrlich freuen.

Während die Kiste für dich ein gesuchter Fluch ist, selbstgewähltes Schicksal und harte Arbeit, an der du umso verbissener festhältst, je mehr erfolglose, d.h. im Lichtwolf-Idiom „unerfolgreiche“ Jahre verstreichen. Der Postbote wird von einem seiner Krimis mehr Exemplare verkauft haben als in 14 Jahren Lichtwölfe gedruckt wurden. Erfolg? –

 

Bemerkenswert an deinem Versuch, hier Schreibdruck aufzubauen, ist zweierlei:

  1. Du hast es selbst in der heißen Endphase des neuen Lichtwolf halbwegs geschafft, dem täglichen Auftrag treu zu bleiben, und zur Not einfach irgendeinen Quatsch gepostet.
  2. Wenn du dich erstmal überwunden hattest, war es gar nicht mehr so schwer, ein bisschen was zu schreiben.

Es ist ein Fehler zu glauben, man müsse erst gründlich am Begriff arbeiten, bevor man etwas „zu Papier“ (hier: ins Internet) bringen kann. Kleists „allmähliche Verfertigung der Gedanken“ geschieht nicht nur beim Reden, sondern auch beim Schreiben – und da arbeitet euer Schreibzeug mit an euren Gedanken (Nietzsche). Man muss viel Schlamm sieben, um Goldklumpen zu finden. Es gibt nur wenige, die lange auf den Boden gestarrt haben, endlich zugriffen und mit ihrem Fund reich wurden.

3 Gedanken zu „Schreibdruck“

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