Mündliche Prüfungen

Es ist ein einziges Alaska hier! Du bist extra früher aufgestanden, um die Straße zu erkunden: Die in der Nacht aufgeworfenen Schneewehen waren wohl erst wenige Minuten zuvor geräumt worden, die Straße war also frei. Die Schwierigkeit bestand darin, überhaupt erstmal bis zum Auto zu gelangen, weil sich eine hüfthohe Düne aus Schnee durch den Garten zog. Und das heute, am Tag der mündlichen Prüfungen!

Winter 2009/10 in Utlandshörn.
Winter 2009/10 in Utlandshörn.

Die Befürchtung, deine Kinderchen würden sämtlich im Schnee feststecken und durchfallen, war zum Glück übertrieben. Um 9 Uhr ging es los, du verteiltest Text und Aufgabenblatt an den ersten Kandidaten. Während er sich vorbereitete, quatschtest du mit dem Koprüfer und hast dich darüber gewundert, ebenfalls aufgeregt zu sein. Nun ja, dies sollte deine erste mündliche Prüfung sein, bei der du auf der anderen Seite des Tischs sitzt.
So, wie du dich früher sorgtest, zu wenige Antworten zu haben, überlegtest du nun, was du machen sollst, wenn dir die Fragen ausgehen. Prüferblackout? Zum Glück gab es ja noch Koprüfer und Beobachter, die kräftig Rückfragen austeilten.
Als du seinerzeit durch die Zwischenprüfung in Computerlinguistik gerauscht bist, hast du noch deinen Prüfer getröstet und sagtest ihm in die pflichtschuldig zerknautschte Miene, es sei sicher nicht schön, Leute durchfallen zu lassen. Nee, meinte er, schöner seien Prüfungen, die gut laufen. Damals dachtest du noch: So ein zynischer Arsch! Jetzt weißt du’s besser, denn deine Kinderchen – selbst die eher schüchternen – gingen genauso in die Prüfungen, wie ihr es besprochen und geübt hattet: Die Prüfer begrüßen und gar nicht erst auf Fragen warten, sondern gleich mit dem Thema loslegen und erzählen. Am Ende des Tages hatten alle bestanden, sogar eine wohlverdiente 1 war dabei.
Die Erleichterung der Kandidaten war jedes Mal groß und du spürtest auch, wie dir dieses Prüfen an die Nieren geht. Aber: geschafft! Niemand ist durchgefallen, für niemanden wird jetzt lebenslanges Glück ausbrechen, die Welt ist nicht viel besser geworden – aber sie haben es geschafft. In der Abschlusskonferenz befiel dich große Erschöpfung in Verbindung mit einer Euphorie, die du dir aber auch dann nicht hast anmerken lassen, als man dir auf die Schulter klopfte und meinte, du hättest deine Leute gut durch die Prüfungen gebracht.

Was du übrigens gut findest: Die Koprüfer von der Hauptschule haben einen ganz besonderen Umgang mit den Kinderchen, ruppig aber korrekt. Ganz so, als hätten sie deren grobe Umgangsformen von jeglicher Verachtung befreit übernommen. Ähnlich die hauptamtlichen Sozialpädagogen, die es Tag für Tag darin aushalten müssen, den Kinderchen eine weitere letzte Chance zu geben oder aber klare Grenzen aufzuzeigen, sie rauszuschmeißen und zu warten, bis sie der Leidensdruck zurück in die Kurse treibt.

Zurück daheim hast du dir erstmal einen Weg durch die Schneewehen bis zur Haustür gebahnt. Trauni saß natürlich wieder im Warmen hinterm Fenster. Dann hast du eine Flasche Wein aufgemacht und im Tagebuch nachgesehen: Vor einem Jahr irrtest du als Umfragefritze auf Probe durch die gleichfalls verschneite Stadt und versuchtest so verzweifelt wie erfolglos, jemanden zur Teilnahme an einer Meinungsumfrage zu bewegen. Vor knapp acht Jahren bist du in Computerlinguistik durch die Zwischenprüfung gerauscht. Und jetzt hörst du die „Ode an die Freude“, als ob du heute deinen Hauptschulabschluss nachgeholt hättest.
Alles Gute, ihr lieben Kinderchen, und bleibt sauber!

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