Schleife drum und gut is

Du weißt alles besser. Beim Brexit hast du dich getäuscht, aber in der gegenwärtigen Häufung von suizidalem Terror weißt du alles mindestens so gut wie die Schlaumeier in den Medien. Würdest du in der Großstadt leben, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis man dir die Bauchbinde „Terror-Experte“ umhängt und auch an der öffentlichen Spekulationslotterie teilnehmen darfst.

 

Der Täter von München hat sich nicht nur an Tim K., dem Täter von Winnenden, orientiert, sondern ihn mit Hingabe studiert, um ihn mit einem lange geplanten Anschlag zu übertreffen. Keiner von beiden ist ausgerastet. Bereit zu Mord und Tod, um einmal im Leben der große Sieger sein, was ihm die neoliberale Erzählung bislang verwehrte, der er treu bis in den Tod blieb… Was für eine böse-ironische Fußnote, dass sich der Deutsch-Iraner noch in seinem Finale als „Scheiß-Ausländer“ beschimpfen lassen musste und darauf bestand: „Ich bin hier geboren!“

Gedemütigt als Verlierer in der neoliberalen Erzählung, als Ausländer in der rassistischen Erzählung, dazu das Handicap von Depressionen und Sozialphobie: David S. hätte in der rechtsradikalen Erzählung als Deutsch-Iraner keine Aufnahme gefunden, in der islamistischen nicht als Schiit und für die europäische fehlte ihm die Kraft, um auszuhalten, wie sehr man in ihr auf sich selbst gestellt ist.

 

Das ist eure Welt: Eine Suchanfrage nach "bild leser abscheu sensationsgier" lädt direkt zum Gaffen und Abkassieren ein.
Das ist eure Welt: Eine Suchanfrage nach „bild leser abscheu sensationsgier“ lädt direkt zum Gaffen und Abkassieren ein.

Die medialen Reflexe sind die immer gleichen. Die täterorientierte Berichterstattung macht entsprechend Disponierten Hoffnung, „auf diese Weise tatsächlich noch als Held zu sterben“. Selbst angehende Journalisten wie Judith Brosel, deren Klassenkamerad ebenfalls den erweiterten Suizid als Gesellenstück versuchte, wissen das und werden sich dennoch nur um den Preis ihrer Karriere der Betriebslogik entziehen können, die Sensationsgier durch ihre Befriedigung hervorbringt und damit das Versprechen, mit nichts so einfach wie mit Gewalt ein Teil der deutschen Erzählung werden zu können.

Vor fünf Jahren hast du dich schon damit abfinden müssen, dass eine damnatio memoriae gegen Breivik zwar gerecht, aber unmöglich wäre. Brosels Vorschlag, sich auf das Leid der Opfer und der Hinterbliebenen zu konzentrieren, leuchtet zunächst ein. Dann wiederum hat die Mediengeschichte genug gelehrt über die Geier nicht nur des Boulevard, die an Tagen wie heute in Würzburg, München, Reutlingen und Ansbach auf der Jagd nach Trauernden sind und nichts aus der Abscheu lernen, die sie damit hervorrufen.

 

Was soll man denn sonst machen? Radio hören! Den Deutschlandfunk kann man generell schon nicht genug loben, aber an Tagen wie diesen muss man es versuchen. Anders als die Tagesschau, die sich am Freitagabend zu zwei Stunden Spekulation hinreißen ließ, blieb der DLF seiner Linie treu: Nach den stündlichen Nachrichten gibt es eine dreiminütige Sondersendung, die vollkommen hinreicht, um das Bisschen an gesicherten Informationen und Warnhinweisen rüberzubringen, was da ist. Keine Panik, keine Bilder, erst recht keine falschen, weshalb auch Michael Draeger zu diesem Medium rät, das überdies den gleichfalls in diesen Tagen nicht zu unterschätzenden Vorzug hat, nach dem stündlichen Update zur Weltlage einfach das Programm fortzusetzen.

Im Radio finden sich auch Experten, die wirklich etwas zu sagen haben. Da ist zum Beispiel der Psychologe Ahmad Mansour, der im DLF die Vorstellungen von Selbst- und Turboradikalisierung geraderückt und auch die muslimischen Verbände und Gemeinden in die Pflicht nimmt. Nämlicher Mansour beschrieb unter der Überschrift „Man muss sich Islamisten als glückliche Menschen vorstellen“ (Camus, ick hör dir trapsen.) aus eigener Erfahrung, wie erhebend es für einen verwirrten jungen Mann aus gutem Hause ist, in der islamistischen Gegenerzählung Zuflucht zu finden.

Aber nicht die allein ist das Problem, denn nicht-muslimische junge Männer werden auch in ferner Zukunft führend beim Massenmord in Deutschland bleiben. Ines Geipel („Der Amok-Komplex – oder die Schule des Tötens“, ganz schön reißerisch…) hat ebenfalls Zweifel, ob sich Terrorismus und sogenannte „Amokläufe“ wirklich sinnvoll unterschieden lassen:

„Es ist immer ein bestimmter Typus von Mann, der nicht mehr anders reagieren kann. Die Unterscheidung – Terror ist politisch, Amok ist privat, deswegen können wir nichts dagegen tun – das halte ich für wirkungslos.“

Geipel spricht von einem alle Täter verbindenden Referenzsystem, das eine „Destruktionsschule der negativen Transzendenz“ darstellt: Junge Männer sind generell fundamentalistisch, leiden an einer „Idealitätskrankheit“ in Kombination mit „Raumnot“. Sie finden keinen Platz, kein Sublimierungsmodell, in das sie ihren Kraftüberschuss abführen können, und transzendieren negativ (wie ein platzender Druckkochtopf) im Versuch, „sich in ein Täterfeld einzuschreiben“.

Das ist eine richtige Deutung, nur versteht das kaum jemand. Den reduktionistischen Unfug von Rechtspopulisten – einschließlich Bayerns Innenminister Herrmann (CSU) – dagegen schon: Bundeswehr einsetzen, Grenzen dicht, Ballerspiele verbieten, Massenüberwachung!

 

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