Man kann sich mit dem Mythos als narrativem Kern von anthropologischen Erzählungen im Sinne einer Theorie des Schreibens beschäftigen: Eine wie auch immer umfangreich gestaltete Liste von Mythen, ergänzt um Mytheme und Archetypen könnte als Grundlage dafür dienen, zur Not halbautomatisch das Grundmuster für Geschichte auszuwerfen. Sie ergäben – abhängig von der Eloquenz des ausführenden Autors – Geschichte, die immer und überall „funktionieren“. Denn sie würden auf Elementen beruhen, die durch die Geschichte in allen Kulturen vorkommen, was ihnen gelingt, weil sie durch die Geschichte in allen Kulturen die Leute berühren.
Daneben hat der Mythos auch eine politische Dimension. Niemand glaubt, in der Politik ginge es rein rational zu. Jeder weiß um die Macht von Stimmungen und welche Bedeutung es hat, Menschen hinter sich versammeln zu können. Schafft man es, sie in großer Zahl zu inspirieren, gelingt es auch, Maos altes Leitwort zu widerlegen, wonach alle politische Macht aus den Gewehrläufen käme.
Du hast die politische Bedeutung des Mythos Ende 2014 in Lichtwolf Nr. 48 in einem Essay über das Eigene und das Fremde aufgegriffen. Beispiel und Anlass war die um sich greifende Xenophobie, wörtlich verstanden als eine Furcht vor dem Fremden, die das Resultat einer Rationalisierung von Angst durch einen Mythos ist:
„Der Mythos weist dem Fremden seinen Platz zu und suggeriert damit Verfügungsgewalt über das Fremde. Der Mythos durchdringt, ordnet und verknüpft alle Bereiche des Lebens unmittelbar. Das abstrahierende, rationale oder „aufgeklärte Denken“ dagegen schafft kein einheitliches Weltbild und es relativiert jede Kultur zur Schöpfung des Menschen, die so oder anders sein könnte. Im Mythos gibt es den Stolz, Deutscher zu sein. Im aufgeklärten Denken gibt es nur den Zufall des Geburtsortes und des dort geltenden Staatsbürgerschaftsrechts.“
Ähnliches gilt für den politischen Mythos im Islamismus.
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