Körperlichkeit und die Folgebegriffe

Räumlichkeit wie Veränderlichkeit sind als eigenständige Begriffe überflüssig, da sie Teilaspekte dessen bezeichnen, was mit Körperlichkeit gemeint ist. Hier musst du innehalten und klarstellen.
Körperlichkeit und Umgang bedingen einander, daraus folgt Räumlichkeit, aus Umgang folgt Zeit, aus Zeit folgt Veränderlichkeit, aus Umgang und Veränderlichkeit folgen Unterscheidung als Art von Umgang, Selbigkeit und Zusammengehörigkeit.

Körperlichkeit

Deine Körperlichkeit ist durch Umgang vermittelt und zugleich die Bedingung der Möglichkeit von Umgang. Ein nur scheinbarer Zirkelschluss! Ohne Körperlichkeit könntest du keinen Umgang mit Hierseiendem pflegen; aber du kannst Umgang mit Hierseiendem pflegen, also muss es Körperlichkeit geben.
Körperlichkeit macht dich zu Hierseiendem und erlaubt dir, mit Hierseiendem Umgang zu pflegen. Ohne Körperlichkeit wärest du Daseiendes im Dasein, dein ontologischer Status wäre ein vollkommen anderer, nämlich der eines Träumenden. Doch selbst im Traum besitzt du eine Körperlichkeit, wodurch das, was dir im Traum erscheint, Hierseiendes ist. (Aus diesem Grunde ist die Unterscheidung zwischen Traum und Wachheit eine weitere harte ontologische Nuss; der Gedanke, sie für ontologisch irrelevant zu erklären und einen radikalen Sensualismus anzunehmen, wird verführerisch.)
Tatsächlich ohne Körperlichkeit, tatsächlich rein Daseiendes im Dasein zu sein, ist nicht vorstellbar, nur benennbar.
Das Hier und Jetzt wiederum gibt es allein wegen und durch deine Körperlichkeit.

Räumlichkeit

Räumlichkeit ist als eine Eigenschaft von Hierseiendem ein Teilaspekt des Hierseins und bedeutet, eine Lage und Position im Raum zu haben sowie eine Ausdehnung in ihm und eine Form. Diese nachgeordneten Eigenschaften werden durch einfachsten Umgang vermittelt – durch deinen Blick. Es sind Hierseins-Eigenschaften zweiter Ordnung.
Durch näheren Umgang mit einem Hierseienden entdeckst du weitere nachgeordnete Eigenschaften: Beschaffenheit, Masse und Gehalt sind Hierseins-Eigenschaften dritter Ordnung.

Zwei weitere nachgeordnete Eigenschaften von Hierseiendem erfordern ausführliche Aufmerksamkeit:
-beweglich oder veränderlich zu sein und
-von anderem Hierseienden abgegrenzt zu sein,

Veränderlichkeit

Hierseiendes kommt und geht, wenn zum Hier das Jetzt hinzutritt, also zur Räumlichkeit die Zeit. Dies wurde am Beispiel des starren Photos und der laufenden Katze bedacht.
Die Katze verändert sich in Teilen wie im Ganzen, indem sie sich vor deinen Augen durch den Raum bewegt. Die Veränderlichkeit von Hierseiendem bedeutet, dass ein Hierseiendes und jeder seiner ebenfalls hierseienden Teile mal diese Lage, Position, Ausdehnung und Form hat, mal jene.
Das Photo dagegen ist ein einziges Hierseiendes, in der Abbildung vergeht keine Zeit, somit besteht darin keine Veränderlichkeit, schon gar keine durch dich und deinen Umgang veranlasste. Ohne Veränderlichkeit ist alles ein einziges Hierseiendes. Doch es gibt Veränderung. Durch Umgang und in der Zeit wird das Sein in Seiendes unterschieden. Am Beispiel des Photos wurde deutlich, dass Unterscheidung nur durch Umgang und in der Zeit, also durch Veränderlichkeit möglich ist.

Selbigkeit, Unterscheidung und Zusammengehörigkeit

Aus der Veränderlichkeit von Hierseiendem in Teilen wie im Ganzen und deinem Umgang mit ihm folgen drei Dinge:
(1) Selbigkeit: Deine Fähigkeit, Hierseiendes als dasselbe wiederzuerkennen, selbst wenn es sich in seiner Räumlichkeit verändert hat. Die Katze, die vorhin dort saß, ist Daseiendes, und die Katze, die jetzt hier sitzt, ist Hierseiendes, doch beide gelten dir als dieselbe. Selbigkeit ist die durch dich vermittelte Eigenschaft von Seiendem, von dir für ein und dasselbe Seiende gehalten zu werden, auch wenn es eine andere Räumlichkeit besitzt.
(2) Unterscheidung und Zusammengehörigkeit: Hierseiendes gilt dann als Teil eines Hierseienden, wenn jenes sich gegenüber den anderen Teilen dieses Hierseienden weniger veränderlich zeigt wie gegenüber anderem Hierseienden, das als von ihm verschieden und getrennt betrachtet werden darf. Der Schwanz der Katze bewegt sich mit ihr, wenn sie ihre Position verändert und das stillstehende Ufer entlangläuft. Somit gehört der Schwanz eher zur Katze als zum Ufer und diese als Ganzes ist vom Ufer verschieden. Die Unterscheidbarkeit von Hierseiendem ist durch Veränderlichkeit und Umgang bedingt. Die Zusammengehörigkeit von hierseienden Teilen zu einem hierseienden Ganzen ist eine Zuschreibung durch Umgang, darum sei nur die Rede von Unterscheidung, die eine Art ist, Umgang zu pflegen. Der Abbildung auf einem Photo kommt nur eine scheinbare Unterscheidbarkeit allein durch deinen Umgang damit zu, da es innerhalb der Abbildung keine Zeit gibt und das Abgebildete nicht veränderlich im ontologischen Sinne ist.

Das Wesen der Dinge

Die Betrachtungen zum ontologischen Status des Ganzen und seiner Teile sowie zur Herstellung ihres Statu durch Unterscheidung werfen die Frage nach dem Wesen der Dinge auf.
Wenn die Teile eines Hierseienden selbst Hierseiende und also veränderlich sind, was macht dann ein Hierseiendes als dieses oder jenes Hierseiendes aus? Welche Teile müssen zu einem Hierseienden gehören, damit es eine hierseiende Katze ist? Dies ist keine ontologische Frage, sondern eine erkenntnistheoretische und logische Frage. Denn die Zuschreibung, ein Hierseiendes sei eine Katze, ist Daseiendes und von dieser verschieden.
Nimm das Schiff des Theseus: Es ist eine Kopie, die unter Verbrauch des Originals entsteht und dieses also ersetzt. Das ursprüngliche Schiff wird im Verschwinden daseiend. Deine Bezeichnung des Schiffs als „das Schiff des Theseus“ ist ebenfalls Daseiendes und vom hierseienden Schiff getrennt.
Denke dir einen nackten Kaiser, der in den Garten tritt: Seine neuen Kleider sind ebenfalls Daseiendes.

In der Ontologie jedenfalls wirst du dich vorher damit begnügen müssen: Durch den Umgang mit Hierseiendem lässt sich sein Wesen nicht bestimmen, sondern lediglich sein konkretes Hiersein.

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