Regulierungen

Egal, ob „Neoliberalismus“ ein politischer Kampfbegriff oder ein irgendwie gut gemeintes, aber schlecht gemachtes Wirtschaftskonzept ist, die Ablehnung von Einschränkungen des freien Wettbewerbs gehört dazu. Das kann soweit gehen wie bei den „Chicago Boys“, die nicht nur klingen wie eine kriminelle Vereinigung und für die sogar Antikartellgesetzgebungen den Wohlstand-für-alle gefährden, der sich durch einen Markt ergibt, welcher – wenn man ihn nur endlich ließe – Monopole und Preisabsprachen ganz von alleine verhindert.

Doch womöglich hat der Neoliberalismus als jüngste, besonders unverschämte Erscheinungsform des auf Kapitalkonzentration zustrebenden Kapitalismus gar kein so großes Problem mit Regulierungen, sofern diese nur groß genug sind. Und das Wahlvolk steht jubelnd daneben.

 

Gentechnik

2015 ging Aasif Mandvi für die Daily Show einer großen Verschwörung auf den Grund: Biotech-Konzerne wie Monsanto und Simplot monopolisieren nicht nur Saatgut, sie manipulieren auch dessen Genom. Die Konsequenzen dessen sind unabsehbar, weshalb ein Großteil der Bevölkerung in den USA, aber auch (und besonders) in Europa genetisch modifizierte Organismen (GMO) strikt ablehnt und allenfalls unter schärfsten Auflagen duldet.

Der Biowissenschaftler Walter DeJong erklärt Mandvi im Interview die ironischen Konsequenzen: Weil die GMO-Forschung auf öffentlichen Druck hin inzwischen so stark reguliert ist, können sich überhaupt nur noch die Biotech-Riesen Investitionen in diesem Bereich leisten, was deren Marktkontrolle weiter stärkt und unabhängige Initiativen unmöglich macht.

 

Steuern

Ein anhaltendes öffentliches Ärgernis bleibt die lückenhafte Besteuerung international agierender Digitalkonzerne. Facebook, Apple, Amazon, Google und Microsoft nutzen alle Schlupflöcher und Spartricks, um so wenig Steuern wie möglich zahlen zu müssen, und verweisen darauf, dies ihren Aktionären schuldig zu sein und gegen keine Gesetze zu verstoßen.

EU-Handelskommissar Pierre Moscovici wollte zum 1. Januar 2015 wenigstens mit einer Steuerkuriosität Schluss machen und erließ neue Vorschriften zur Umsatzsteuer auf digitale Produkte, die scheinbar vor allem auf Amazon abzielten: Kaufte man dort als Deutscher von einem deutschen Rechner aus ein E-Book für 99 Cent, führte Amazon davon 3 Prozent als Umsatzsteuer an Luxemburg ab, weil dort der europäische Firmensitz des zuständigen Konzernzweigs lag.

Moscovicis Verordnung sieht vor, dass auf digitale Produkte derjenige Umsatzsteuersatz anfällt, der im Lande des Käufers gilt, und dieses Geld dem dortigen Finanzamt zusteht. Dem „Verbraucher“ konnte es egal sein, da das E-Book ihn danach immer noch 99 Cent kostet, und der deutsche Fiskus freute sich, von Amazon davon knapp 19 Cent als Umsatzsteuer (statt zuvor 0) abzukriegen.

Nur alle, die kleiner als Amazon, Apple & Co. sind, gerieten ins Schwitzen ob der Folgen und Anforderungen, die Moscovicis Verordnung für Anbieter digitaler Produkte bereithielt. Zum einen bleibt bei einem kleinen Verlag wie dem catware.net Verlag noch weniger von jedem E-Book-Verkauf hängen. Zum anderen war es für die Großkonzerne ein Leichtes, die technische Infrastruktur einzurichten, die notwendig ist, um jedem einzelnen E-Book-Verkauf das dazugehörige Land nebst Umsatzsteuersatz zuzuordnen und regelmäßig Abrechnungen und Überweisungen an alle 29 Finanzministerien in der EU vorzunehmen.

Das deutsche Finanzamt reagierte auf die Kritik, diese EU-Regulierung ohne Bagatellgrenze begrabe den unabhängigen E-Book-Vertrieb unter bürokratischen Vorgaben, die kaum ein Kleinverleger bewältigen kann: Das „vereinfachte Mini-One-Stop-Shop-Meldeverfahren“ sollte kleinen Onlineshopbetreibern die EU-weite Abführung von Umsatzsteuer erleichtern. Dessen ungeachtet warfen so manche die Flinte ins Korn und vertreiben ihre Sachen heute allenfalls noch über Amazon, Apple & Co., was deren Marktmacht naturellement zementiert.

(Photo: BiljaST, Biljana Jovanovic, pixabay.com, CC0)

 

Datenschutz

In mancher Hinsicht wiederholt sich diese Geschichte mit der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Jahrelang wurde gemault über den Schindluder, der mit euren persönlichen Daten getrieben wird, (und über die Indifferenz der allermeisten Nutzer demgegenüber) nun endlich wird Datenschutz ernst genommen, indem man die Datenkraken zwingt, euch haargenau zu erklären, was sie mit den Informationen machen, mit denen ihr sie füttert.

Die großen Datenölkonzerne haben sich längst darauf eingestellt, weil ihre Lobbyisten den jahrelangen Gesetzgebungsprozess begleitet haben. Allen anderen wird erst jetzt, wo die DSGVO vor der Tür steht, klar, von der EU mit dem Bade ausgeschüttet zu werden.

Auch hier wird keine Rücksicht auf irgendwelche Spezis genommen, die nebenher Sammelbildchen im Netz tauschen, Foren oder Blogs betreiben. Praktisch jeder muss die Richtlinien der DSGVO einhalten und so mancher hat bereits vor dieser Herausforderung kapituliert. Sie ist natürlich genauso zu bewältigen wie die landesspezifische Umsatzbesteuerung auf digitale Produkte und wer irgendwie gewerblich im Netz unterwegs ist – und sei es auch nur mit einem randständigen Blog wie diesem oder mit Onlineshops zum Vertrieb randständiger Druckwerke – muss sich die Mühe machen, für die ja schon ein paar ungefähre Hilfsmittel bereitstehen. Und doch: Statt am nächsten Lichtwolf sitzt du seit Wochen an der GVO-kompatiblen Datenschutzerklärung des catware.net Verlags und sie ist schon jetzt so lang, dass absehbar kein normaler Mensch außer Abmahnanwälten sie komplett lesen wird – ganz zu schweigen von dem nicht minder umfangreichen „Verarbeitungsverzeichnis“, für das erst noch ein Safe angeschafft werden muss. (Möge LIDL den bald wieder im Angebot haben!)

Überhaupt ist die DSGVO mindestens so sehr ein veritables Strukturprogramm für Juristen und Berater wie es einen weiteren Chilling Effect im juristischen Minenfeld darstellt, in das sich der vermeintliche „rechtsfreie Raum Internet“ verwandelt hat. Das vertreibt die Kleinen erst recht aus einem Internet, in dem zu tummeln sich nur noch die Großen mit festangestellten Rechtsexperten leisten können. Lothar Struck zum Beispiel fragt sich schon länger, wozu man sich das freie Bloggen mit einem gewissen Anspruch überhaupt noch antun soll. Am Ende seiner jüngsten Überlegungen zur Zukunft dieser Art des öffentlichen Vernunftgebrauchs taucht die DSGVO als „bürokratisches Monstrum“ auf, das ihn wie so manchen anderen überfordert und somit zur Schließung vieler Webseiten führen wird, deren Betreiber sich über alles Gedanken machen wollen, aber nicht ob sie dabei die

„Verarbeitung personenbezogener Daten, soweit diese im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union erfolgt, unabhängig davon, ob die Verarbeitung in der Union stattfindet“ (Art. 3 (1) DSGVO)

betreiben – und ein einst mit guten Gründen angestrebtes Recht sich nur als weiterer Pfeil im Köcher der ohnehin Mächtigen herausstellt.

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