Anwälte sind nicht besonders beliebt. Umfragen sortieren sie regelmäßig unter die Berufe mit dem geringsten Ansehen und auch in den kulturindustriellen Hervorbringungen kommen sie nie gut weg, vielleicht mal abgesehen von denen John Grishams, dessen idealistische Junganwälte ihren Berufsstand auch nur in all seiner Fragwürdigkeit vorführen. Und im Übrigen fiktiv sind.
Die Unbeliebtheit der Anwälte mag damit zusammenhängen, dass man nur mit dieser Berufsgruppe zu tun hat, wenn es Ärger gibt. Anders als der Polizist, der auch mal Freund und Helfer sein kann und nicht nur der rancièresche Ordnungshüter ist, als den du ihn im aktuellen Lichtwolf portraitierst; auch anders als Ärzte oder EDV-Administratoren, mit denen man auch nur zu tun hat, wenn irgendwas nicht stimmt, die aber dann auch Retter in der Not sein können, scheint diese Janusköpfigkeit den Anwälten nicht vergönnt zu sein, und dies obwohl man im Rechtsstaat stets mindestens einen auf seiner Seite hat. Der Passauer Jura-Professor Johann Braun führte 1996 in seinem Aufsatz „Über die Unbeliebtheit des Juristen“ fünf mögliche Gründe an:
- Niemand wird gern belehrt, aber das ist vornehmliche Aufgabe der Juristen.
- In ihrer Fachsprache wird verhandelt, was alle angeht, „und wer davon betroffen ist, steht dabei und weiß nicht, wie ihm geschieht.“
- Aus jedem Zivilprozess geht eine Seite als Sieger, die andere als Verlierer hervor; erstere ist undankbar, weil sie sich eh im Recht fühlt, zweitere, weil ihr nicht zu ihrem Recht verholfen wurde und sie beide Anwälte bezahlen muss.
- Je mehr Prozesse geführt werden, desto mehr Verlierer gibt es, denen die Juristen erklären müssen, die andere Juristen seien schuld.
- Juristen sind Vertreter eines Staates, der die Rechtsordnung nüchtern und neutral durchsetzt.
Braun kennt drei Kompensationsstrategien, um mit der Unbeliebtheit des eigenen Berufsstandes zurechtzukommen: Juristen, die sie mit Verachtung der nichtjuristischen Laien beantworten, werden „niemals eine Zierde ihres Standes“. Besser bleibt man unter sich (wohl auch deshalb tun sich eher Anwälte als Ärzte zu Gemeinschaften zusammen), am besten aber konzentriert man sich auf die persönliche Pflicht, eine im Rechtsstaat notwendige Aufgabe zu erfüllen.
Rechtspflege
Diese hehre Aufgabe ist die „Rechtspflege“. Ähnlich wie der Polizist, der aus Überzeugung die Grünen wählt, aber beim Castor-Transport Demonstranten wegschleppen muss, können auch Juristen nicht immer persönliche Neigung und berufliche Pflicht zur Deckung bringen. Umgekehrt macht es die Rechtspflege dem Anwalt nicht nötig, sich die Interessen zu eigen zu machen, die er juristisch durchzusetzen hat. Darum wird er auch gern „als eine Art Söldner angesehen, dessen eigentliche Aufgabe darin besteht, mit allen Kräften auf den jeweiligen Gegner einzuschlagen.“ (Braun)
Du hast gerade auch mit Anwälten zu tun, war da doch unter anderem diese eine Sache mit einer gewissen Partei, die hier nicht verlinkt wird. Da ging es um eine gewisse Domain, die hier gleichfalls nicht verlinkt wird, da sie sich inzwischen im Besitz des in Berlin ansässigen Bundesverbands nämlicher Partei befindet. Offenkundig traut sie ihrem ostfriesischen Ableger aus guten Gründen nicht zu, sich angemessen um die Domain zu kümmern, die du Anfang Mai fair und legal erworben hast, wie man das in der Marktwirtschaft so tut. (U.a. die taz hat den Fall erklärt.)
Zwischenzeitlich hat diese ominöse Partei ihren Anwalt auf dich losgelassen. Dieser verdient sein karges Brot in einer Kanzlei, deren Chef sich mit gleichfalls guten Gründen gegen den jüngsten rechtsstaatsverachtenden Aufruf des Zentralorgans der Niedertracht ausgesprochen hat: Die BILD hatte nach dem Hamburger G20-Gipfel zur Fahndung nach angeblichen Straftätern aufgerufen und sich damit die Ämter von Polizei, Staatsanwalt und Richter zugleich angemaßt. Es ist vorbildliche Rechtspflege, sich als Jurist öffentlich gegen sowas auszusprechen.
Abmahnungen
Es sei dahingestellt, ob sämtliche öffentlichen Aktivitäten nämlichen Anwalts, dessen Umtriebigkeit ihm eine eigene Wikipedia-Seite eingebracht hat, auf der nicht gerade neutralen Tones seine Heldentaten aufgezählt sind (zu denen neben einer RTL-Sendung auch populärwissenschaftliche Bestseller über kuriose Urteile und die arkane Sprache der Juristen gehören), ebenfalls dem Zweck der Rechtspflege dienlich sind. Fraglos wird man diesen aber in Juristenkreisen der Abmahnung zuschreiben, auf die man sich in dieser Kanzlei spezialisiert zu haben scheint.
In der ein, zwei Jahrzehnte zurückliegenden Pubertät des Internet trieb das dortige Piratenwesen bunte Blüten und konfrontierte so manchen Erziehungsberechtigten eines saugenden Teenies mit dieser Spezialität des Rechtssystems. Hierbei vertritt der Jurist nicht „das kälteste aller kalten Ungeheuer“ (Braun in Anlehnung an Nietzsche, der wiederum in Anlehnung an Hobbes), sondern die zivilrechtlichen Ansprüche einer juristischen oder natürlichen Person. Ob die gerechtfertigt sind, entscheidet ein Gericht, aber nur selten. Denn zum einen ist der Witz einer Abmahnung ja, „Streitigkeiten auf direktem Weg ohne Einschaltung eines Gerichts beizulegen“ (Wikipedia). Zum anderen sind die Laien, denen formal einen dicker Umschlag mit in juristischer Fachsprache verfassten Drohgebärden zugestellt wird, davon meist so eingeschüchert, dass sie die beigefügte Kapitulations-Unterlassungserklärung unterschreiben und bezahlen, was immer der Anwalt von ihnen haben will. Im Goldenen Zeitalter der Raubkopien hat sich manche Kanzlei daran eine goldene Nase verdient auf Kosten des Ansehens ihres Berufsstands im Allgemeinen und des rechtspflegerischen Instruments der Abmahnung im Speziellen.
Zur Anwendung kommt es vornehmlich im Namens-, Marken- und Urheberrecht, wo die Verletzung eigener Ansprüche beträchtlichen Schaden anrichten kann und der Gesetzgeber darum ein Mittel ersonnen hat, Ansprüche durchzusetzen, ohne sie erst langwierig von einem Gericht prüfen zu lassen. Andernfalls würde – so die Verfechter des kulturindustriellen Abmahnwesens – wie in der Hobbesschen Fiktion des Naturzustands niemand mehr sein Feld bestellen, da er jederzeit damit rechnen müsste, dass ihm die Früchte seiner Arbeit geraubt werden; heißt hier: Niemand würde mehr kreative Schöpfungen hervorbringen, kein Unternehmen mehr jahrelang an seiner Marke, also dem Ruf seiner Produkte arbeiten, wenn man sich einfach daran bedienen könnte. Und da jeder verkaufte Druck eines Notenblatts, für den der Komponist nicht entlohnt wird, diesem Opportunitätskosten verursacht, und jede verkaufte Flasche einer braunen Plörre, auf die jemand „Coca Cola“ geklebt hat, dem Unternehmen „Coca Cola“ schadet, ist ihnen nicht zuzumuten, diesen Zustand bis zu einem Gerichtstermin hinzunehmen. Da der Schaden, also der Streitwert nicht von einem neutralen Gericht festgestellt wird, sondern von einem Anwalt festgelegt, dessen Honorar sich nach dem Streitwert richtet, hat jener kein Interesse daran, diesen mit Maß und Mitte anzusetzen. Und da es einige Kanzleien damit dann doch ziemlich übertrieben haben und in den Ortsvereinen der Parteien nun einmal auch Leute sitzen, die für die Filmtauschbörse ihrer Kinder oder ein Produktbild bei einer eBay-Versteigerung abgemahnt wurden und die nicht das Geld haben, um die Sache vor Gericht zu klären, hat der Bundestag im Juni 2013 das Abmahnwesen ein wenig einzuhegen versucht.
Außer Rand und Band
Die Einzelperson, die sich öffentlich verleumdet sieht, kann den Verantwortlichen anzeigen, aber bis zur (nur möglichen!) Verurteilung steht die Rufschädigung im Raum. Er kann auch einen Abmahnanwalt einschalten, der ruckzuck Unterlassung verlangt. Liest man regelmäßig das BILBblog, kann man dem Verdacht nicht entgehen, dass die Justiziare im Springer-Hochhaus hauptsächlich damit beschäftigt sind, die Kosten einer persönlichkeitsrechtverletzenden Berichterstattung deren Erträgen gegenüber zu stellen. Kein anständiger Journalist käme auf die Idee, die Fotoalben einer Familie zu plündern, die um einen toten Angehörigen trauert. Finden die Opfer solcher Praktiken überhaupt die Kraft, sich dagegen zu wehren, hat BILD bereits mit dem, was andere Presseorgane aus moralischen Gründen dem Publikum vorenthalten, gute Einnahmen erzielt und kann achselzuckend jede Unterlassungserklärung unterschreiben, da nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern.
Prominente haben es leichter, aber auch nicht leicht, wie Jörg Kachelmann, der sich – gleichfalls mit Hilfe nämlicher Kanzlei, deren Chef sich auch darüber als „Promianwalt“ interviewen lässt – gegen die vorverurteilende und persönlichkeitsrechtverletzende Berichterstattung von BILD über den Vergewaltigungsprozess gegen ihn gewehrt hat. Prominente glauben, größeren Schaden durch bestimmte Behauptungen zu erleiden, weshalb ein „Tagesschau“-Sprecher mit Abmahnungen gegen Spekulationen über seine sexuelle Orientierung vorgeht (und damit erst recht zu ihrer Verbreitung beiträgt, siehe Streisand-Effekt) und ein Gangsta-Rapper die Wochenzeitung (WOZ) – hier nun wieder mit Hilfe nämlicher Kanzlei – strafbewehrt auffordert, die Behauptung zu unterlassen, er sei ein „Pantoffelheld“.
Das ist zunächst einmal ganz lustig, weil sich der Laie hier vorstellen kann, wie gekränkte Könige ihre juristischen Söldnerheere in den Sielen ausfechten lassen, wer den Längsten hat. Genau besehen aber ist das gar nicht mehr lustig, weil das Spektakel auch jedem seiner Zuschauer die Botschaft überbringt, auf ihn könne ebenfalls jederzeit ein juristisches Söldnerheer losgelassen werden. Im Englischen spricht man vom „chilling effect“, wenn die Furcht vor juristischen Drohgebärden dazu führt, Meinungsäußerungen oder Berichterstattung von vornherein zu unterlassen (oder zum Beispiel bestimmte öffentliche Personen, um die es geht, wie den Gottseibeiuns nicht beim Namen zu nennen). Die als Instrument der Rechtspflege gedachte Abmahnung trägt erheblich dazu bei. Die Stiftung Warentest etwa berichtet frank und frei, wie Anlageberater, die sie als unseriös bewertet hatte, nämliche Kanzlei einschalteten, um ihre Namensrechte zu wahren, also die kritischen Bewertungen zu unterdrücken. Auch die Erfahrungsberichte in den Kommentaren zeugen von der regen Abmahnpraxis dieser Kanzlei, deren Chef sich zwar wiederholt mit BILD anlegt, aber sich ja nicht die Interessen zu eigen machen muss, die er vertritt. So muss es auch keine Begeisterung für Erdoğan sein, in dessen Namen nämliche Kanzlei letztes Jahr den Springerchef Döpfner verklagte, nachdem er öffentlich erklärt hatte, sich Jan Böhmermanns Schmähgedicht in allen „Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen“ zu wollen. Die Begründung des Medienanwalts für sein Engagement kündet von Rechtspflege außer Rand und Band:
„Es ist wie bei einer Massenvergewaltigung: Wenn einer anfängt, kriechen alle aus den Löchern und machen mit. Vor allem, wenn es das Opfer angeblich nicht besser verdient hat. Wir müssen als Gesellschaft aufpassen, wenn der dünne Lack der Zivilisation blättert und kollektive Enthemmung losbricht.“
Dein Leben lang hast du dich redlich bemüht, so wenig wie möglich mit jemandem wie Döpfner gemeinsam zu haben, und jetzt wirst du von der gleichen Kanzlei vor Gericht gezerrt wie er. Im Wartezimmer deines Anwalts, bei dem es sich um einen äußerst sympathischen Idealisten handelt, liegt der vom Chef der Abmahnkanzlei verfasste Bestseller über kuriose Gerichtsurteile aus.
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