Von Truthiness zu Trumpiness

Stephen Colbert etablierte im April 2006 beim „White House Correspondents‘ Association Dinner“ den Begriff „Truthiness“ in einer längst legendären Rede über Politik aus dem Bauch heraus. Wenige Meter vor George W. Bush stehend lobte er – ganz in Gestalt seiner bis zur Kenntlichkeit entstellt erzkonservativen TV-Persona – den damaligen US-Präsidenten über den grünen Klee. Selbstverständlich sei die völkerrechtswidrige Invasion des Irak richtig gewesen, obwohl der Kriegsgrund (Saddams Massenvernichtungswaffen) als Lüge enttarnt worden war und die USA in einem zweiten Vietnam feststeckten. Denn Persönlichkeiten wie Bush träfen ihre Entscheidungen nicht aufgrund von Fakten und Wahrheit, sondern nach Gefühl; dafür, dass sich etwas hinreichend wie eine Wahrheit anfühle und keiner weiteren Prüfung mehr bedürfe, prägte Colbert das Wort „Truthiness“.

Gut zehn Jahre später, nachdem Colbert seine eigene Sendung – ein Spin-off von Jon Stewarts „The Daily Show“ – aufgegeben hat, um Nachfolger von David Letterman zu werden, ist Donald Trump Präsidentschaftskandidat der Republikaner. Im Juli 2016 kehrte Stephen Colbert in seiner eigenen Sendung als (der alte) Stephen Colbert zurück, um den Begriff „Trumpiness“ zu etablieren: Truthiness muss sich wahr anfühlen, Trumpiness braucht nicht einmal mehr das. Truthiness kommt aus dem Bauch heraus, so Colbert, während Trumpiness ihren Ursprung eine Etage weiter unten im Verdauungstrakt hat.

Es gehe im Wahlkampf nicht darum, was Wähler denken, sondern was sie fühlen. Die meisten Trump-Unterstützer erkennen Trumps erratisch-megalomanische Äußerungen als Bullshit, feiern ihn aber trotzdem. Es muss sich nichts mehr wahr anfühlen, es reicht schon, wenn sich irgendetwas in der politischen Sphäre überhaupt noch irgendwie anfühlt.

 

Wer glaubt noch den Experten?

Vor dem britischen Referendum im Juni 2016 konstatierte der Tory und Brexit-Befürworter Michael Gove angesichts der Warnungen von Fachleuten vor den Folgen eines EU-Austritts: „People in this country have had enough of experts“.

Eine ähnliche Szene beschrieb Alard von Kittlitz in der ZEIT: „Lieber als auf den Rat der Experten hört man jetzt auf Menschen, die Emotionen wecken, Ängste und Ressentiments. Die Abwägen als Zaudern abtun und Genauigkeit als Erbsenzählerei. […] Keiner hat mehr Bock auf Fakten.“

Fakten sind anstrengend. Experten haben auf drängende Probleme allenfalls komplizierte Antworten – im Gegensatz zu Populisten. „Für jemanden, der um seine Zukunft fürchtet, klingt dieses Einerseits-andererseits-Gelaber schnell wie ein Nach-Ausreden-Suchen.“

Kittlitz vermutet, der Autoritätsanspruch qua Expertise lasse die Fachleute suspekt erscheinen, die öffentlich auftreten. Dazu haben sie aber immer seltener Gelegenheit. Den Vorzug erhalten stattdessen Expertendarsteller, die ihre Autorität durch die Bauchbinde erhalten und Statements ablassen, die in die Aufmerksamkeitsspanne (und das vage Herumgefühle) des Publikums reinpassen. Wie jede Inflation führt auch die der Experten zur Entwertung: Hier sinkt ein fachliches Urteil zu nur einer weiteren Meinung herab, der spätestens morgen eine gegenteilige folgen wird.

„Der Experte ist der natürliche Feind des Populisten“, schließt Kittlitz, „das weiß der Populist sehr genau.“ Aber ist der Vormarsch des Rechtspopulismus Symptom oder Ursache der Experteninflation? Oder liegt dem ganzen nicht noch etwas anderes zugrunde?

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