Kurz vor Heiligabend warnte Konrad Adam in einem SPON-Interview die von ihm mitbegründete „Alternative für Deutschland“ (AfD), in deren Bundesvorstand er bis zum Juli saß, vorm Fischen in braunen Gewässern. Des Thüringer Flaggenfreunds Björn Höcke rassistische Äußerungen über einen „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ hält er für „pseudowissenschaftlichen Unfug“, weiß sich aber einig mit Höcke im Kampf gegen den „Versuch einer Islamisierung“, auf deren wissenschaftlich haltbaren Beleg das Abendland aber noch lange warten kann. Bemerkenswert auch Adams Auffassung, ehemalige NSDAP-Mitglieder seien nach 1945 in den westdeutschen Parteien untergekommen, um sich zu „resozialisieren“.
Konrad Adam wird zu den gemäßigten Nationalkonservativen gezählt, die beim letzten AfD-Mitgliederparteitag im Juli 2015 vom radikaleren Flügel kaltgestellt worden sind. Eigentlich also ein armer, älterer Herr, dem man in der AfD nur aus teutschem Respekt vorm Alter noch nicht ganz den Stuhl vor die Tür gestellt hat.
Du hast es hier im Sudelbuch bereits angedeutet und im aktuellen Lichtwolf am Rande erwähnt, dass nämlicher Konrad Adam unter den Autoren ist, die in den frühen Jahrgängen der „Scheidewege – Jahresschrift für skeptisches Denken“ Gegenwartskritik anhand der damaligen Diskurse (Massenmedien, Technik, Kernenergie, Umweltschutz, Krieg) übten. Der Zufall hat dir die „Scheidewege“ von 1989 in die Hände gespielt und der Beitrag Adams zeigt, dass er – wie so viele Menschen – vor einem Vierteljahrhundert ein anderer war (oder auch nicht).
Seine Kurzbiographie am Ende des Hefts macht dem Begriff alle Ehre: geboren 1942 in Wuppertal, hat alte Sprachen und Geschichte studiert, ist seit 1978 FAZ-Journalist. Damals war die FAZ noch ein wahrlich erzbürgerliches Blatt für Kommunistenfresser und Startbahnausbauer. Zeichnete sich Adams Hang zum Salonrebellentum schon darin ab, trotz dieses Arbeitgebers in „Scheidewege“ einen knallgrünen Essay wider den Nuklearmilitarismus zu veröffentlichen?
Adams Verurteilung des atomwissenschaftlichen Machbarkeitsfimmels ist zunächst mal gar nicht so unsympathisch. Er hebt an mit einem Verweis auf die totalitäre Begriffsverkehrung in Orwells „1984“, der er den Titel seines Beitrag entliehen hat: „Krieg heißt Frieden, Frieden Krieg“ (Scheidewege Nr. 19, 1989/90, S. 219-229)
Der Titel passt aller Anmaßung zum Trotze, denn Adams Thema ist die Rede von der vermeintlich „friedlichen“ Nutzung der Kernenergie, obwohl „militärische und zivile Absichten“ in den „anwendungsnahen, technisch inspirierten Naturwissenschaften“ nicht zu trennen sind (S. 219). Darin sieht er sich von Oppenheimer – mit dem er hart ins Gericht geht – bestätigt. „Es ist ein illusionärer, von interessierter Seite allerdings kräftig genährter Irrglaube, daß sich die Energieerzeugung voranbringen lasse, ohne die Waffenproduktion zu erleichtern.“ (S. 225) Adams Verdacht ist, dass – von den Göttinger Achtzehn bis zur Internationalen Atomenergieagentur – „die Stimmen, die den zivilen Einsatz [der Kernenergie] feiern, nicht nur vor allem deshalb so laut klingen, weil sie eine Realität übertonen sollen, die ganz aussieht.“ (S. 220)
Belege dafür findet Adam in den janusköpfigen Atombehörden (für Energie und Bombenbau zuständig) und in der Technikgeschichte: Schon die frühesten Überlegungen von Joliot, Groth, Heisenberg und Einstein sowie erste praktische Anwendungen wie der Reaktor von Fermi zielten mindestens so sehr auf die Produktion von Explosivstoffen wie auf die Stromerzeugung. Einstein wie viele andere Wissenschaftler bereuten spätestens nach Hiroshima, die Politik auf solche Ideen gebracht zu haben, weshalb diese ihnen Absolution erteilte mit der alten Mär von der Forschung zu friedlichen Zwecken bzw. zu dem Zweck, ein für alle Mal den Frieden herzustellen (S. 221f.). In Wahrheit, so Adam, gab es nicht einmal die Trennung von reiner und angewandter Forschung, da Oppenheimer & Co. bei der Bombenentwicklung ungefragt kreativ wurden und die Gelegenheit nutzten, „in Japan ein geeignetes Ziel für den mit Ungeduld herbeigesehnten battle test der neuen Waffe auszusuchen“ (S. 222f.).
„Die Angst vor Hitlers Bombe“ lässt Adam nicht als Motiv gelten. Sie stellte sich spätestens mit der deutschen Kapitulation als „kriegsbedingtes Phantom“ und „Selbstbetrug“ dar und wurde umgehend durch die Angst vor den Japanern, dann vor den Sowjets ersetzt, um die „atomare Hochrüstung der Vereinigten Staaten zu verlangen und zu rechtfertigen“ (S. 223). Gleichwohl unterstellt Adam den Forschern auch nicht, bloß einen Feind um der Bombe willen zu suchen. Vielmehr waren die Umstände so, dass eine Bombe im Krieg die günstigste Gelegenheit war, um zu zeigen, was man kann.
Diesen Forschertyp sieht Adam in Oppenheimer und Edward Teller („Vater“ der Wasserstoffbombe) personifiziert: Ihr Denken fragt jenseits von Gut und Böse „nur noch danach, ob etwas funktioniert oder nicht.“ (S. 224) Hinter der bloßen Machbarkeit treten alle anderen Zwecke und Werte zurück, einschließlich der Loyalität zu der politischen Macht, in deren Dienst man sich gerade befindet (S. 225). Ein Garchinger Nuklearforscher, der militärisch nutzbares Know-how an Pakistan weitergab, hat gegen das Gesetz verstoßen, aber nicht gegen „den Berufskodex einer Wissenschaft, die tut, was sie tun kann, weil sie es tun kann“ (S. 226). Die Wissenschaftler entlässt Adam auch deshalb nicht aus ihrer Verantwortung, weil sie anders handeln konnten und können, indem sie – wie Heisenberg über die Bedingungen und Möglichkeiten des Bombenbaus sagt – „ihren Regierungen den erforderlichen Aufwand entweder als unvernünftig hoch oder als sinnvoll und vielversprechend darstellen“.
Adam schließt nach einem Rückblick auf Tschernobyl und den Versuch, die Katastrophe als Experiment zu verharmlosen, aus dem die Nuklearforschung noch was lernen könne, fast schon hoffnungsvoll: „Nicht jeden Preis, den sie verlangt, scheint Wissenschaft auch wert zu sein. Je höher er steigt, desto kräftiger wird der Widerstand gegen einen Fortschritt anwachsen, dessen Gefahren seine Vorteile inzwischen eingeholt haben.“ (S. 229)
Mit Adams späterer politischer Entwicklung im Hinterkopf lässt sich so ein Essay nicht mehr naiv lesen. Die von Friedrich Georg Jünger und Max Himmelheber begründeten „Scheidewege“ waren (und sind) kein links-grünes Kampfblatt. Vielmehr behandeln sie die Themen der Grünen auf eine gediegene Weise, die in der Partei erst nach ihrer Verbürgerlichung durch Marginalisierung der Fundis üblich geworden ist.
Es wäre zu billig, in Adams Essay einen verkappten Antisemitismus am Werk zu sehen, weil die Atomwissenschaftler, denen er ihre Amoralität nachzuweisen versucht, überwiegend jüdisch waren. Viel interessanter ist es, wie sich schon vor 25 Jahren in dem Essay ein Motiv abzeichnet, das du in deiner politphänomenologischen Rundschau in Lichtwolf Nr. 51 als verbindendes Element von ökologisch bewegten wie bürgerlich-besorgten Verschwörungstheoretikern ausgemacht hast.
Adam gehört zur Generation derer, die in den 1960ern akademisch sozialisiert wurden. Ob er mitgetan hat oder als Altphilologen-Nerd nichts davon wissen wollte, was jenseits seines Homer an der Uni vor sich ging – er wird mitbekommen haben, wie ringsum alles Adorno, Marcuse und Enzensberger liest und diskutiert: Verblendungszusammenhang, falsches Bewusstsein, Manipulation. Adams Generation hat gelernt, dass Systemkritik immer auch Sprachkritik sein muss und umgekehrt.
Auf AfD-Parteitagen wird die Presse schon fast mit dem hasserfüllten Misstrauen empfangen, aus dem heraus ihr der Zutritt zu NPD-Parteitagen verwehrt wird; ganz zu schweigen von den auch körperlichen Angriffen auf Journalisten, die von den AfD-Straßentruppen unter dem PEGIDA-Banner verübt werden. In den weniger militanten Formen der „Medienkritik“ kehrt die System- und Sprachkritik der 68er wieder und es ist kein Zufall, dass die führenden Köpfe der „systemmedienkritischen“ Querfront alle aus dieser Generation stammen. In LW51 hast du also geschrieben:
„Aus dem vermeintlich von der ‚Lügenpresse‘ (oder ‚Mainstream-Medien‘, ‚MSM‘) beherrschten Diskurs und gesellschaftlichen Minimalkonsens verabschieden sich Bürger, die weder ungebildet noch unterprivilegiert noch indifferent gegenüber den Herausforderungen unserer Zeit sind. Die Drift in Richtung autoritär-irrationalistischer Skepsis, die allem misstraut, nur nicht dem eigenen Misstrauen, führte zu Jahresbeginn in Berlin zu einer Masernepidemie, weil junge Hipster-Eltern sich der ‚Impf-Lüge von Big Pharma‘ verweigern.
Wenn alles Lüge ist, ist jeder ein Lügner – mit Absichten, die böse sein müssen, weil er sie sonst nicht verschleiern würde. Diese längst verallgemeinerte Logik aus Zeiten, als Neue Soziale Bewegungen mit Aufklärung und Demos gegen Atom-, Rüstungs- und Ölindustrie antraten, wiederholt das Motiv vom Verblendungszusammenhang, hinter dem finstere Mächte am Werk sind.
Alban Werner entdeckte im Merkur ‚ungeahnte Ähnlichkeiten in Struktur und Bedeutung‘ zwischen Bündnisgrünen und AfD, deren Milieus ‚sich vordergründig in Moral und Praxis diametral unterscheiden, um sich heimlich doch an einigen Stellen zu treffen.‘“ (LW51, S. 89f.)
Eine solche Stelle ist Konrad Adams 25 Jahre alter Essay, der unter Rekurs auf George Orwell das Bild vom manipulativen Atomstaat zeichnet, in dem hemmungslose Vernichtungsforscher am Werk sind.
„Daß Teller von den ‚humanen Formen‘ radiologischer Kriegsführung fabulieren konnte und allen Ernstes bedauert hat, daß der Planet zu klein sei, um seine Superwaffen ohne Risiko zu testen, wirft ein charakteristisches Licht auf sein naturwissenschaftliches Denken.“ (S. 228)
Leute wie Teller sind in Adams Darstellung innerlich verheert und können nicht mehr sinnvoll von kriegerischen und friedlichen Absichten und Zwecken sprechen. Man kann auch nicht mehr mit ihnen darüber sprechen, so der unterbliebene Nachsatz, in dem die rechte wie linke Lust an der Kündigung des zivilen Diskurses steckt.
1 Gedanke zu „Adam gegens Atom“