Seltsam und folgenreich ist die Obsession der antiken Griechen mit dem Nichts. Ob der griechische horror vacui Symptom oder Ursache dessen war, ist für die Folgen belanglos: In ihrer Ablehnung des Nichts weigerten sich die Griechen, die Null in ihr Zahlensystem aufzunehmen; ihre Leistungen in Architektur und Astronomie immerhin zeigen, dass es wohl auch ohne geht.
Übler sind die philosophiegeschichtlichen Folgen. Der Furor, mit dem Parmenides das Sein gegen das Nichts verteidigt, hat Eindruck hinterlassen und seither geht die Philosophie mit dem Nichts um wie der Atheist, der von nichts anderem als Gott spricht.
Als Thema für Denksportaufgaben und zur Abdichtung von Formalsystemen taugt das Nichts, jedoch nicht als fundamentalontologisches Topos. Aufgefundene Eigenschaften von Seiendem zu negieren dient der logischen Kohärenz, einem derart gesetzten Nichtseienden nachzuspüren dagegen ist so kontraintuitiv wie ontologisch unergiebig. Du könntest so vorgehen: Bestimme Seiendes, negiere seine Eigenschaften und suche dann nach Gemeinsamkeiten in den negierten Eigenschaften, um vom Nichtseienden auf das Nichtsein zu schließen; dies gelte es lediglich zu negieren, um eine Aussage über das Sein zu erhalten.
P(a) ∧ Q(b) ∧ R(c) ; a, b und c sind Seiendes mit den Eigenschaften P, Q und R
¬P(a) ∧ ¬Q(b) ∧ ¬R(c) ; a, b und c werden ihre Eigenschaften abgesprochen
∀x:∃X: ¬X(x) ; für alle x gilt, mindestens eine Eigenschaft X nicht zu haben
¬(∀x:∃X: ¬X(x)) ; es gilt nicht, dass für alle x gilt, mindestens eine Eigenschaft X nicht zu haben
∃x:¬∀X: ¬X(x) ; für mindestens ein x gilt, nicht alle Eigenschaften X nicht zu haben
Mit dieser Erkenntnis zu arbeiten verlangt ebensolche Tollkühnheit wie mit dem Kehrwert von 0 (die unmögliche Division 1/0) zu rechnen. Immerhin zeigt dir dieser logische Versuch, dass Sein nicht bloß gesehen werden heißt wie bei Berkeley. Vielmehr gehört auch zum Sein, genau beschrieben werden zu können. Diesen eher epistemologischen Gedanken gilt es an anderer Stelle aufzugreifen.
Hier jedenfalls ist festzuhalten, dass die Beschäftigung mit Nichtseiendem oder dem Nichtsein müßig bis unsinnig ist für eine Analytik dessen, was ist. Wenn man das Seiende in Kategorien einteilt, so ist es sinnvoller, es darin zu unterscheiden, ob es anwesend (=Hierseiendes) oder abwesend (=Daseiendes) ist.
Was ist nun das Nichtseiende? Es ist das Seiende, das nicht hier ist. Es ist da. Es ist das Daseiende. Das Einhorn, der verschollene Freund, die größte aller Primzahlen, Außerirdische, Gott.
Alles Sein ist Hiersein oder Dasein. Tertium non datur. Und nichts erst recht nicht.
1 Gedanke zu „Es gibt kein Nichtseiendes“