Beim Burger kommt bekanntlich keine Frikadelle mehr ins Brötchen, sondern es muss ein Patty (vorzugsweise aus Beef) im Bun sein. Die übrigen Zutaten (Soßen, Käse & Salat) sind trotz ihres altbackenen Klangs diesem Schicksal bisher entgangen, um ihm wohl in der nächsten Generation zu erliegen, wie ja die Dorfjugend von heute auch nicht mehr relaxt (das machen ihre uncoolen Eltern, während sich die re-coolen Großeltern entspannen), sondern chillt (mit Grilled Cheese Sandwich). Wann kommt die erste Landeszentrale für politische Bildung auf die Idee, zum Voting statt zur Wahl aufzurufen?
Das alles ist weder ein Grund, dem Verein Deutsche Sprache beizutreten, noch neu. Als doofer Teenager hast du dich bei der BRAVO-Lektüre gefragt, ob auch du ein Boy bist auf der Suche nach einem Girl. Du hast nicht verstanden, warum man einen englischen Begriff verwendet, wenn es einen genauso guten auf Deutsch gibt (anders als „Teenager“), allein geahnt, dass das etwas zu bedeuten haben muss.
Was soll das bedeuten?
Sprache hat mit Kleidung zweierlei gemeinsam: Zum einen unterliegen beide Gewohnheiten, die als Moden kommen und gehen. Nur noch in bestimmten Szenen ist es heutzutage üblich, von Boys zu sprechen, dafür füllen junge Akademikerinnen, wenn ihnen die Worte ausgehen, die Lücke derzeit mit: „Genau.“
Zum anderen ist das Medium die Botschaft: Die Art und Weise, wie eines spricht und sich kleidet, verrät immer auch, wie es sich, die anderen und ihr Verhältnis betrachtet. Wenn ein Journalist in einer Liveschalte jede Antwort auf Fragen der Moderatorin mit „Also“ beginnt, hält er die Leute nicht unbedingt für Idioten. Ihr sollt aber wissen, sagt dieses „Also“, dass da etwas ganz Wichtiges und Kompliziertes vor sich geht und der Journalist sich ordentlich Gedanken macht, wie er euch das jetzt erklären kann.
Mit solchen Macken und Ticks des kollektiven Bewusstseins nichts anfangen zu können entschuldigt natürlich nicht das laute Gelächter, wenn einem ein Mensch ernsthaft als „Editor at Large“ vorgestellt wird. Lieber staune man, wie der Keks als eingedeutschte Cakes nun seine Rückkehr im Cookie erlebt, oder die Leute sich im Chor ihrer Eigentümlichkeit versichern.
Ist das Manierismus?
Der Manierismus, sagt Wikipedia, überwandt im 16. Jahrhundert die antikisierende Formstrenge der Renaissance mit dem überbordenden Zierat und eigentümlichen Schwulst, für den der Barock geliebt und verachtet wird.
Verspielt, kapriziös und artifiziell wirkt auch der Sprachstil in den besseren Kreisen der Twitter- und Blogosphäre, wo man sich und andere vierfünftelironisch „Kartoffel“ oder „Alman“ nennt. Gegen jedes Sprachbewusstsein, das doch auch Stilbewusstsein sein müsste, ist die Entscheiderphrase „ein Stück weit“ allgegenwärtig, die – sobald eins wirklich was zu entscheiden hat – durch Militanz („operatives Geschäft“, „Lage“, „Strategie“, „nukleare Option“ „Bazooka“ usw.) ergänzt wird, die natürlich bloß Gerede ist und weder ein kriselndes Denken offenbart noch darauf nicht zum Besten einwirkt.
Den meisten ist es genug der Originalität, wenn sie verstanden haben, mit Originalität in den sozialen Medien nichts werden zu können. Um der Gefahr der Inkommensurabilität zu entgehen, lassen sie nicht den Gedanken zu Wort kommen, lieber wiederholen sie Schablonen ohne Urheber: „Made my Day“, „Genau mein Humor“, „Blabla1. Blabla2. Finde den Fehler.“, „Irgendwas am Limit“ bzw. „Peak Irgendwas“. Über solche Klischees hat Adorno in § 51 der „Minima Moralia“ ja alles Nötige geschrieben.
In der auch im normalen Gespräch auf Retweetbarkeit zugerichteten Sprache ist nichts sicher oder geklärt, sondern safe, man ist nicht zynisch, sondern edgy, geht nicht aus, sondern datet, liest Stories und hört Songs, nichts ist peinlich, sondern cringe(y), es wird nichts ausgelöst, nur getriggert (was aber auch Menschen passieren kann), und wenn die Leute am Bingen sind, hat das nichts mit einer Hildegard zu tun.
Freilich gibt es auch hier Teenager: „relatable“ ist nicht einfach „nachvollziehbar“ und „legit“ nicht einfach „ehrlich“. Apropos Teenager: Das ist die nachgeplapperte Systemsprache der Twenty- bzw. Thirty-somethings; die jüngeren Kohorten bringen aus der Gaming-Lebensform noch größere, d.h. kürzere Eigentümlichkeiten in den sprachlichen Straßenalltag wie das sattsam bekannte lol bzw. kek oder das nach diesen Maßstäben frikadellenalte WTF, das als „What the fuck“ ja längst Usus ist – weshalb die abgrenzungswillige Jugend zu einer Variante greifen muss, die einen Hauch orientalischer Exotik versprüht: Dafuq? (Nicht zu verwechseln mit dem Onlinemagazin des IS, Dabiq.)
Hörma, guckma, glaubma,
ich bin nicht so wie die anderen!
Die Hüter teutscher Zung kommen mit ihrem Unbehagen nicht übers Ressentiment gegen den freien Begriffsverkehr hinaus. Nicht viel edler und interessanter sind ihre Gegner, deren manierierte Phrasendrescherei immer auch der Selbstdarstellung dient: Man beweist Weltläufigkeit und grenzt sich so vom Hauptschülerenglisch ab, das gerade ausreicht, um im Urlaub der fremdländischen Kneipenbekanntschaft verständlich zu machen, wie man heißt und woher man kommt, oder um aus dem Zugführerhauptquartier heraus anzukündigen, welche Milchkanne um die Gunst des Reisenden wirbt („Aua next schtopp iss“). Das wieder und wieder nachgeplapperte Klischee bürgt dafür, die eigene Timeline sorgfältig zu kuratieren – im Gegensatz zu den Proleten, die außer dem tränenlachenden und wutschnaubenden Emoji keiner weiteren schriftsprachlichen Symbole bedürfen.
Dieser Manierismus geht über die Gymnasiastenarroganz hinaus, Bücher, Serien und Filme – daher haben sie es, darauf beziehen sie sich, dessen versichern sie einander – „ja aus Prinzip“ nur im Original zu konsumieren (rezipiert haben die uncoolen Eltern). Er geht aber auch nicht sehr weit, womöglich nur „ein Stück weit“ darüber hinaus, markiert dieser Manierismus doch bloß die nächste Entwicklungsstufe. In ihr verpuppt sich die Abi-Kartoffel zum arrivierten Kleinbürger, dem nichts so peinlich ist wie das Kartoffelsein und der sich darum den Schein von Weltläufigkeit gibt, der so billig ist wie die komorbide Vortäuschung von Nachdenklichkeit durch die Einleitung eines Hauptsatzes mit „Wobei:“.
Und natürlich ist das ein moderner Manierismus, der mit seinem kunsthistorischen Gegenstück die überdreht hechelnde Darstellung des mehr gefühlten Gedankens gemein hat. Der eine ist so gut wie der andere, es geht ja nur um das Augenzwinkern an die Eingeweihten. Sprachgemeinschaft als Insiderwitz oder sein Gegenteil: Wehe, es lacht einer über „Editor at Large“ als Berufsbezeichnung.
1 Gedanke zu „Moderner Manierismus“