Jetzt wird alles gelebt

Otto Friedrich Bollnow behagt es 1963 in seinem Werk „Mensch und Raum“ nicht ganz, darin von „erlebtem Raum“ zu sprechen,

„denn ‚leben‘ ist in der deutschen Sprache ein intransitives Verbum. Leben heißt Am-Leben-sein gegenüber Tot-sein. Es kann auch mit adverbialen Bestimmungen modifiziert werden. Man kann gut oder schlecht leben, aber das Wort kann nicht mit einem Objekt im Akkusativ verbunden werden. Man kann höchstens sagen, daß man sein Leben lebt, […] [a]ber man kann nicht sagen, daß der Mensch etwas lebt, etwa den Raum oder die Zeit, und man kann darum diese auch nicht als ‚gelebt‘ bezeichnen.“ (S. 18 f.)

Redlicherweise nimmt Bollnow im Trübnerschen Wörterbuch Belege für den transitiven Gebrauch des Verbs „leben“ zur Kenntnis, die jedoch scheinen ihm laut Fußnote „sprachwidrig“. Ein halbes Jahrhundert später sind solche Skrupel ebenso antiquiert wie phänomenologische Überlegungen zum Raum. Nach der Liebe und der Demokratie wird neuerdings auch die Herkunft „gelebt“. Wann endlich zurrt die deutsche Sprache ihr Mieder zusammen (Nix gegen Heine!) und tritt den Schwätzern in den Arsch, dass sie kopfstehen?

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