„Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in welchem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt; noch das unschuldige Wie schön wird zur Ausrede für die Schmach des Daseins, das anders ist, und es ist keine Schönheit und kein Trost mehr außer in dem Blick, der aufs Grauen geht, ihm standhält und im ungemilderten Bewußtsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält.“
– Adorno, Minima Moralia, 5
Ein Mensch, der Mensch macht sich Kleidung zum Schutze vor den Fährnissen des Klimas. Er baut sich eine Wohnhöhle, um darin sein Gelumpe trocken lagern und nackig herumspringen zu können. Er macht sich Falle, Speer und Angel, um Tiere zu überlisten, die er sonst nur in seinen Träumen verzehren könnte. Er bringt Mythos und Wissenschaft hervor, um nicht jedes Jahr auf Gedeih und Verderb ausprobieren zu müssen, wann es Zeit für die Aussaat und wann für die Ernte ist. Er tut sich mit anderen Menschen zusammen, um nachts wenigstens für ein paar Stunden ruhig die Äuglein schließen zu können.
All das geht ihm im Laufe der Generationen in Fleisch und Blut über, bis zur völligen Selbstverständlichkeit wird, was sich da auf der Erde ent- und einfaltet, seit der erste Mensch sich in der Savanne auf die Hinterbeine stellte und die Hände frei hatte, um Menschenwerk zu tun. Dieses ist in all seinen Formen ein Projekt gegen seine Negation, ein Contrajekt.
Seltsam und bezeichnend für diese Selbstverständlichkeit, dass Google diesen schönen Begriff bislang nur in einem einsamen Tweet und auf einem abgeschalteten Blog findet sowie als Reklamespruch eines Metallbauers:
„Bei einem Projekt stellt sich immer die Frage nach dem ‚Wofür‘, sonst hieße es ja Contrajekt.“ (H. Neubauer)
In ihrer Verlogenheit legt Werbung stupendere Wahrheiten offen als jedes Geständnis. Jedem Menschenwerk muss ein Wofür angedichtet werden, um seinen nackten Charakter als Contrajekt, als Projekt gegen die Negation des Menschen zu verhüllen. Durch die Negation der Negation, die das Contrajekt darstellt, ist die Falschheit des Menschen selbst, gegen die das Contrajekt gerichtet ist, darin aufgehoben.
Daher kommt es also, dass dir aus allem Menschenwerk die Lüge entgegenbrüllt.
Die Möglichkeit des Besseren? Sich mit aller Kraft darum bemühen, wirklich sinnlose Scheiße zu machen, um schweigend sterben zu lernen.
1 Gedanke zu „Woher die ganze Lüge?“