„Hoffentlich sterben Sie bald.“

Im dritten Teil deiner österlichen Reihe „Was gesagt werden muss“ plädierst du – nach der Verteidigung einiger älterer und der einiger jüngerer Herren – für Nachsicht mit Sven Regener und der Kulturindustrie.

Etwa bauhaushoch war die Welle der Empörung, die Sven Regner vor zwei Wochen nach seinem Wutanfall über Raubkopierer und Urheberrechtskritiker entgegenschlug. Der Schriftsteller und Musiker sah sich darauf Anfeindungen ausgesetzt, weil er partout nicht die mit dem Internet gegebene Möglichkeit nutzen will, seine Werke jedermann kostenlos zur Verfügung zu stellen. Im Funkloch kann das schnell als bandenmäßig begangene räuberische Erpressung durchgehen, und wer vergessen hat, warum die Piraten sich so nennen, weiß nun wieder wieso und wie wenig ironisch. Die EU guckt tatenlos zu, obwohl sie das Mandat der Operation Atalanta ausgeweitet hat, um Piraten auch an den Stränden verfolgen zu können; Mitglieder der Partei sollten im eigenen Interesse erstmal nicht zum Schnorcheln ins somalische Einsatzgebiet abdüsen.

Nach dem Offenen Brief von 51 „Tatort“-Autoren, die etwas ruhiger als Regener ihrer Sorge Ausdruck verliehen, die Urheberrechtspolitik der Adressaten Grüne, Linke und Piraten laufe auf ihre Enteignung hinaus, sprangen ihnen diese Woche im Handelsblatt einige Kreative bei, deren Werke sich in der Generation Gefällt-mir nicht ganz so großer Beliebtheit erfreuen wie „Element of Crime“ und „Tatort“. Umgekehrt kamen Gegenreden vom Chaos Computer Club und den Piraten, von den schrillen Tönen in Blogo- und Twittersphäre mal so weit zu schweigen, wie es der digitale Schallschutz noch erlaubt.
Warum flippt ein kleiner, aber sehr lauter Teil der Netzgemeinde dermaßen aus, weil Künstler auf ihrem Recht beharren? Das kann doch nicht bloß ob der Not, auch weiterhin für Konsum Geld aufwenden zu müssen, frustrierter Hedonismus sein. Es wird halt auch viel vermischt in der Urheberrechtsdebatte. Den Piraten stinkt es zu recht, dass ihr Programm auf die Expropriation der kulturindustriellen Expropriateure reduziert wird. Die Gegenseite versucht, mit kreativer Arbeit über die Runden zu kommen, und muss sich als nützlicher Idiot von Bertelsmann beschimpfen lassen. Wenn der sonst so patente Anatol Stefanowitsch gelinde gesagt: „kiebig“ auf Regener und Co. antwortet, muss es ja schon was Persönliches sein.
Hass bedeutet, jemandem nicht zu gönnen, wie gut es ihm geht; Verachtung bedeutet, jemandem zu gönnen, wie schlecht es ihm geht. Die Debatte um ein neues Urheberrecht ist geprägt vom Hass auf die Piraten-Partei und von der Verachtung der Kulturindustrie. Unter solchen Bedingungen führt sie nirgendwo hin, außer in einigen Fällen zum Thoraxchirurgen oder Psychiater.
Frédéric Valin sieht in seinem taz-Kommentar die Verwerter erleichtert darüber aufseufzen, in der aktuellen Debatte ausnahmsweise die Künstler an ihrer Statt als Prügelknaben zu sehen. Die verächtliche Art, wie Kreativen vorbuchstabiert wird, das Internet werde sie begraben, zementiert die gegenwärtigen Verhältnisse, indem sie die Kreativen enger an die Verwerter heranrücken lässt. 10 Prozent Umsatzbeteiligung sind mehr als null, überdies wird man nett betüdelt und weiß, woran man ist. Denn eine umsetzbare und tragfähige Lösung, wie die Interessen von Nutzern, Kreativen und – ja: auch Verwertern (sonst gibt’s wieder Staatshilfe!) im digitalen Zeitalter in Einklang gebracht werden können, gibt es immer noch nicht. Jedenfalls ist sie den Kreativen noch nicht auf eine überzeugende Weise erklärt worden. Darum wird es weitergehen wie bisher: Musikfirmen, Filmstudios und Verlage werden weiterhin ihr Zeug verkaufen und Abmahnungen verschicken, die Großen werden noch Größer oder gehen pleite, die Kleinen wurschteln sich wie eh und je durch.

Der Zorn der Urheberrechtskritiker rührt aus der Ahnung dieser Ohnmacht, vielleicht auch aus den zerplatzten Illusionen, die sie sich von der „Internetrevolution“ gemacht haben. Dieser Zorn und die Furcht der Gegenseite vergiften die Debatte selbst da, wo sie sinnvoll und eine Allianz zwischen Digitalen auf der einen und Kreativen sowie kleineren Verwertern auf der anderen Seite naheliegend ist – bei ACTA und beim Leistungsschutzrecht etwa oder beim Grundeinkommen, das den unterm Existenzminimum lebenden Großteil der Kreativen tatsächlich in die Lage versetzen würde, ebenso wie ein kommod Hochschulbeschäftigter Anatol Stefanowitsch unter Creative-Commons-Lizenz zu veröffentlichen. Über eine Verkürzung der Schutzfristen und die Gemeinfreiheit von öffentlich finanzierten Werken (wie in den USA üblich) – einschließlich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dessen Depublikationszwang Zeitungsverlage durchgesetzt haben, sowie der Texte von Hochschulangestellten, an denen sich Wissenschaftsverlage dumm und dusselig verdienen – sollte man unbedingt reden. Schließlich hätte der Lichtwolf schon oft genug weiße Seiten gehabt, böte das Internet nicht Zugang zu gemeinfreien Photos oder Illustrationen. Die Überschrift des vorliegenden Texts entstammt einem Brief, den Kurt Tucholsky 1932 von einem potentiellen Leser und Bücherdieb erhielt: „Ihr letztes Buch ist wieder so teuer, dass man es sich nicht kaufen kann. Hoffentlich sterben Sie bald, damit Ihre Bücher billiger werden.“ (zitiert aus der NZZ) Bleibt zu hoffen, der Urheber dieser Zeilen habe Tucholskys Gemeinfreiheit anno 2005 noch erleben dürfen; andererseits hat sich Fritz J. Raddatz 1975 bei der Gesamtausgabe viel Mühe gegeben und sooo teuer sind die 10 Bände Weltliteratur dann auch nicht. Den meisten geht es auch gar nicht so sehr ums Geld, wie du es neulich in deinem rant über rants über E-Books dargestellt hast, sondern darum, schon wegen eines zu langen Zitats womöglich kriminalisiert zu werden.

Kurzum: Du und – die Autoren und Illustratoren mögen dir diese Generalisierung verzeihen – der Lichtwolf stehen in jeder Hinsicht den Piraten näher als dem Springerkonzern. Doch im diskursiven Schlachtengetümmel sieht es ganz anders aus. Wer von „den Kreativen“ spricht, meint damit die Schülerband und Daniela Katzenberger; „die Verwerter“ sind Sony BMG und der Lichtwolf. Auf Seiten der Urheberrechtskritiker treffen Invektiven wie die Regeners sowohl diejenigen, die mit guten Argumenten auf die Probleme der gegenwärtigen Regelung aufmerksam machen (aber auch keine für alle annehmbare Lösung haben), als auch die Konsumnarzissten, für die Künstler gefälligst arm zu sein haben, es zwänge sie ja niemand, und wer es mit der Kunst ernst meine, geht ihr auch unbezahlt nach. (Ironischerweise ist dies das Argument, von dem sich die bösen Verwerter bei Honorarverhandlungen leiten lassen.)

Der die hehren Ziele vereitelnde Debattenton kommt dir bekannt vor aus dem Kampf, der hier wie andernorts gegen Massentierhaltung geführt wird. Deren Kritiker haben gute Argumente, stoßen bei den Industriebauern aber auf taube Ohren und werden drum immer lauter. Sie vergessen dabei, dass es der Gegenseite nicht um einen Lifestyle geht, sondern um ihre Lebensgrundlage. Wer dem Bauern keine bessere Alternative aufzeigen kann, von der er auch leben kann, darf ihm nicht verübeln, beim Hergebrachten zu bleiben – den Gesundheitsgefahren, der Abhängigkeit von Abnehmerkonzernen und des Leidens der Tiere zum Trotz. Der Hühnerbaron weiß, seine Familie allen Veganerdemos und allen Lebensmittelskandalen zum Trotz noch auf Generationen dank der Nachfrage nach billigem Fleisch durchbringen zu können, zur Not interveniert der Bauernverband in Berlin.
Ähnlich schlecht lassen sich Kreative für das Vorhaben gewinnen, erstmal Urheberrecht und Copyright, VG Wort und GEMA abzuschaffen und dann zu gucken, wie die Urheber vergütet werden könnten; umso weniger, wenn sie sich ob ihrer mangelnden Begeisterung beschimpfen lassen müssen. So halten sie sich lieber an ihre Plattenfirmen und Verlage, deren Verbände über genügend finanzielles Sitzfleisch sowie scharfe Rechtsabteilungen und Kontakte nach Berlin verfügen, um auch die nächsten Debattenjahrzehnte zu überstehen. Die gerne auch im Drohton vorgetragene Annahme, das Internet werde diese Strukturen hinwegfegen, ist eine Überschätzung der tatsächlichen Kräfte- und Trägheitsverhältnisse, der die gegenwärtigen Erfolge der Piraten nur förderlich sind.

Die Forderung nach Abschaffung oder wenigstens Anpassung des Urheberrechts wird auf lange Zeit den Status derjenigen haben, einen demokratischen Sozialismus einzuführen: Attraktiv für genug Prozente, um damit in einige Landtage einzuziehen. Hin und wieder werden Verbände und ihre Sykophanten in den Regierungsparteien Brandreden dagegen halten, woraufhin eine Debatte entbrennen wird, in der der Tonfall mehr von der jeweiligen Kinderstube als der Sache abhängig ist. Und wenn es sehr gut und schlecht für die Piraten und ihre Anhänger läuft, wird sie im zweiten Viertel des 21. Jahrhunderts das gleiche Schicksal ereilen wie die Grünen, als sie – kaum an einer Bundesregierung beteiligt – mitbeschlossen, die Atomkraftwerke ein paar Jahrzehnte weiter laufen zu lassen und Serbien zu bombardieren.

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