Die Schafe sind ja wieder auf dem Deich und als du morgens nach dem beruhigenden Anblick sahst, lag ein weißes Lamm scheinbar friedlich am Zaun in der Sonne.
Hast dich der Gartenarbeit gewidmet, denn die Kartoffeln waren überfällig. Drei Wochen lang hast du sie im Badezimmer vorkeimen lassen, letztes Jahr hast du sie laut Gartentagebuch am 18. April gepflanzt. Heute früh also buddelst du Löcher, füllst sie mit Kompost und Blumenerde auf und legst überall eine Kartoffel hinein. Zwischendurch erzwangen Hagelschauer kurze Pause, ansonsten strahlte die Sonne.
Bis zum Mittag warst du fertig und sahst noch einmal nach den Schafen. Das Lamm lag immer noch an Ort und Stelle. Selbst als du hingingst, trat es nicht die Flucht an, sondern ließ sich sogar anstandslos streicheln. Es lag nur da, kaute Gras und guckte.
Nachmittags rief der Brotberuf. Als du abends zurückkamst, lag das Schaf immer noch da, was langsam nicht mehr süß, sondern besorgniserregend war. Schließlich klettertest du über den Zaun und versuchtest erst zaghaft, dann zupackender, das Lamm auf die Beine zu bringen. Es hatte keine sichtbaren Verletzungen, lediglich etwas trockenen Eiter rund um die Augen. Vielleicht hatte es einen Hitzschlag? Die übrige Herde guckte bloß kauend zu, wie du das Lamm wieder und wieder hinzustellen versuchtest. Irgendwann hieltest du es aufrecht und gingst einige Schritte mit ihm wie man einem Kind Fahrradfahren beibringt. Das Lamm strauchelte, als hätte es überhaupt gerade erst laufen gelernt, blieb dann jedoch tatsächlich ungelenk stehen und du klettertest wieder über den Zaun zurück. Kaum warst du drüben, fiel es wieder um und wand sich hilflos wie ein auf dem Rücken liegender Käfer im Gras. Du hattest keine Ahnung, was du tun sollst, und redetest auf die Herde ein, dass die sich doch verdammt nochmal um das Kleine kümmern sollten. Was sie dann übrigens auch taten: Kaum warst du über den Zaun, liefen einige Schafe zu dem Lamm und beguckten es. Aber viel machen konnten die natürlich auch nicht.
Später, hieß es, sei der Schäfer gekommen und hätte das Lamm abgeholt. Es sei nun gewiss schon Hundefutter.
Ende der Parabel auf angewandte Ethik.