Trauni fauchte, als ihr spätabends vor die Tür gingt. Du sahst nach wenigen Schritten, was der Anlass ihres Fauchens war: Der ganze Garten voller Katzen. Hinter den Hagebutten lag Traunis kleine Verwandte und blieb dort liegen, selbst als du sie mit der Taschenlampe anstrahltest und näherkamst. Erst als du nur noch eine Armlänge entfernt warst, stand sie auf und ging. Da hatte Trauni sie schon entdeckt, hatte gefaucht und sich aus dem Staub gemacht. Aber ihre Verwandte ergriff nicht wie sonst üblich im Trab die Flucht, sondern schlich mit dickem Schwanz Meter für Meter davon. Erst nach einer Weile hast du begriffen, was los war. Über euch im hohen Baum saß Sophie – und Traunis Verwandte humpelte. Sie setzte die rechte Vorderpfote nicht auf den Boden.
Nun hast du zunächst einmal die hiesige Rangordnung besser verstanden: Sophie hatte sich in den Baumwipfel geflüchtet – aus Angst vor Traunis Verwandter, die wirklich nur eine halbe Portion ist. Dies nicht nur, weil sie jung ist – es sind Mangelerscheinungen.
Fast schon ironisch wäre es, würde Sophie Trauni und ihre Verwandte miteinander verwechseln: Dann wäre sie jedes Mal verwirrt, warum ihre schwarze Gegnerin mal vor ihr flüchtet und sie ein anderes Mal (offenbar) in die Flucht schlägt. Es scheint jedenfalls eine zyklische Hierarchie unter den Katzentieren vorzuliegen: Trauni hat Angst vor Sophie, Sophie hat Angst vor Traunis Verwandter und Traunis Verwandte hat Angst vor Trauni.
Nun jedenfalls standest du da, umringt von drei Katzen, und hast auf jede einzelne eingeredet, weil du dir Sorgen machtest. Um Sophie im Baum, weil du dir nicht vorstellen konntest, wie sie von da oben alleine wieder runterkommen soll, und um Traunis verletzte Verwandte erst recht. Denn die hiesige Agrarwildnis pflegt einem verletzten Tier nicht gerade optimale Heilungschancen einzuräumen und du glaubst nicht, dass Traunis Verwandte – ausgemergelt, wie sie ist – irgendwo einen sicheren Unterschlupf, geschweige denn gar ein Zuhause hat, wo man sich um sie kümmert.
Sie hatte sich schließlich ins Gestrüpp geflüchtet, von wo aus sie dich mit leuchtenden Augen anstarrte, und du hast dich geärgert, sie nicht einfach eingefangen und kurzerhand in deine Bude gesperrt zu haben. Dort hätte sie eine Nacht in Ruhe schlafen können, dazu Futter und Milch.
Tja, und Sophie hing oben im Baumwipfel und traute sich nicht mehr runter. Eine Leiter hattest du sowieso nicht und hättest es auch gar nicht gewagt, diese Psychopathin dort eigenhändig herunterzuholen; in Ritterrüstung vielleicht. Diese verrückte Katze greift zwischendurch sogar deine Füße an, wenn du neben ihr stehst, da mag man sich gar nicht ausmalen, was passiert, wenn du sie von einem Baum retten willst!
Trauni dackelte dir nach, ihr habt abgewartet und „The Last Samurai“ auf DVD geguckt; so einen Film könnte man ja irgendwann auch mal über das letzte Holzmedium machen. Am Ende war Sophie irgendwie wieder vom Baum heruntergekommen und Traunis Verwandte spurlos verschwunden.
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