Der Skorpion und der Frosch

Im Ausland wird Angela Merkels Flüchtlingspolitik anscheinend nach wie vor als eine der offenen Tür wahrgenommen, obwohl die Bundesregierung dem Druck des Rechtspopulisten Crazy-Horst und anderer wahrer Freunde Christi längst nachgegeben hat und mehr über Strafen für das Schwänzen von Deutschkursen nachdenkt als darüber, wie genug Deutschkurse für alle eingerichtet werden können.

Gestern hast du einen Artikel im britischen Independent gelesen. Robert Verkaik beschreibt darin, wie die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin Deutschland vor islamistischem Terrorismus schützt. In nuce: Indem sie demonstrativ Geflüchteten aus muslimischen Ländern Vertrauen entgegenbringt, Schutz bietet und sie willkommen heißt, widerspricht sie in Wort und Tat dem islamistischen Narrativ vom Krieg des Westens gegen den Islam. Das steigert auch die Bereitschaft der muslimischen Community, mit Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten – anders als in den Ghettos von Paris oder Brüssel, wo man die Polizei nur als rassistische Schlägertruppe kennt, die stets einen Terrorverdacht parat hat.

Das ist eine interessante Argumentation, weil du es noch nie so betrachtet hast. Anscheinend sieht das aber nicht jeder so: Du hast den Fehler gemacht, auch einige der Kommentare zu lesen, was man bei dem Thema unterlassen sollte, will man sich nicht den Abend versauen. Denn es ist ja so, dass nicht die Leute, die den Artikel gelesen haben und sich erstmal damit auseinandersetzen, ihren Senf dazu abgeben – sondern nur Horden von funktionalen Analphabeten mit diversen psychosozialen Komorbiditäten, die mehr als die Überschrift nicht packen.

Damit übertreibst du. Denn neben den in britischen Kommentarkellern üblichen Nazi-Vergleichen fand sich auch ein besonders perfider Kommentar, der auf die Fabel vom Frosch und Skorpion Bezug nimmt:

Ein Frosch und ein Skorpion stehen am Ufer eines Flusses. Der Skorpion bittet den Frosch, ihn auf seinem Rücken ans andere Ufer zu bringen. Der Frosch ist misstrauisch, aber der Skorpion beruhigt ihn: „Du musst keine Angst haben, dass ich dich steche. Das würde ja unser beider Untergang bedeuten!“ Der Frosch willigt also ein und schwimmt mit dem Skorpion im Huckepack los. In der Mitte des Flusses sticht der Skorpion zu. Während beide ertrinken, fragt der Frosch entsetzt, warum der Skorpion das getan hat. Dieser antwortet: „Weil es in meiner Natur liegt.“

Was muss bei einem schiefgelaufen sein, dass er glaubt, es läge im Wesen von Muslimen oder Arabern, Terroranschläge zu verüben! Nuja, nicht viel: Es ist das Prinzip der rechtsradikalen Erzählung, diffus umgrenzte Bevölkerungsgruppen als wesenhaft gefährlich darzustellen.

Illustration von Mīrzā Raḥīm (1847) der Fabel vom Skorpion und der Schildkröte aus den Anwar-I-Suhaili.
Illustration von Mīrzā Raḥīm (1847) der Fabel vom Skorpion und der Schildkröte aus den Anwar-I-Suhaili.

Ironischerweise schreibt der rassistische Schlaumeier die Fabel Äsop zu. Hätte er wohl gerne. Bei Äsop findet sie sich nicht, sie taucht erstmals Mitte des 20. Jahrhunderts (!) auf und basiert vermutlich auf der Fabel vom Skorpion und der Schildkröte, die aus dem Mittleren Osten stammt.

 

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