Der Retter der (Post-)Demokratie (I)

Vor dem Brexit hast du dich im Juni mächtig aus dem Blogfenster gelehnt und erwartet, dass die mediale Aufregung im Vorfeld ein bloßes Spektakel ist, das um eine in jeder Hinsicht sichere Sache gemacht wird: Die wirtschaftlichen Interessen der britischen Finanzindustrie sind zu mächtig, um den von den Brexiteers angestrebten Austritt aus der EU zu ermöglichen. Damals bist du widerlegt worden und im November gleich noch einmal. Denn im selben Blogpost hast du auch im US-Wahlkampf das bloße Spektakel vermutet, das er war, und – noch riskanter – unterstellt, es sei egal, ob Trump oder Rodham Clinton im Weißen Haus landet: In den Postdemokratien des Westens geht die große Politik weitgehend unbeeinflusst vom Wähler ihren Gang, weshalb die Kandidaten umso großspuriger auftreten müssen und das ganze medial aufgeblasen wird, als ginge es wirklich um die Wurst.

 

Jetzt ist die Trump-Regierung seit fünf Tagen im Amt und hat bereits angekündigt, gegen Journalisten vorgehen zu wollen. Nicht etwa, weil die zu Rassenhass und Gewalt aufgerufen haben (die haben wie Steve Bannon Beraterposten erhalten), sondern weil sie berichtet haben, bei Trumps Amtseinführung seien weniger Zuschauer zugegen gewesen als bei Obamas. Darin ist noch ebenso viel Remmidemmi wie in allen anderen Ankündigungen der gefönten Fantaflasche. Die bisherigen Amtshandlungen entsprechen dem politischen Rückschritt, der nach einem republikanischen Wahlsieg zu erwarten gewesen war, lediglich die Kabinettsbesetzungen sind fragwürdiger denn je. Es ist wohl nur Trumps fehlender Tierliebe zu verdanken, dass noch kein Pferd in ein hohes Amt berufen worden ist. Der Außenminister Rex Tillerson ist als ehemaliger Exxon-Chef dem Öl-Zaren Putin freundschaftlich-finanziell verbunden, den Verteidigungsminister James „Mad Dog“ Mattis kennt man als Irakkriegsgeneral aus „Generation Kill“, die Privatschul-Profiteurin Betsy DeVos ist für Bildung zuständig und wenigstens eine Frau in der weißen, alten, männlichen Trump-Administration. Der Ölkonzern-Lobbyist Scott Pruitt leitet nun die Umweltbehörde, die er jahrelang mit Klagen überzogen hat, der Gouverneur von Texas, Rick Perry, bekommt die Energiebehörde, die zu den Behörden gehört, die er im Vorwahlkampf 2011 abzuschaffen ankündigte aber nicht auf ihren Namen kam – vermutlich weil er schon damals von einem Auftritt bei „Dancing with the Stars“ träumte.

 

Wer hat das zugelassen?

Mathias Greffrath hat sich das Shakespeare-Drama über Richard III. zur Hand genommen und fragt, wie es kommen konnte, dass „ein Lügner, ein Narzist, ein Bankrotteur und ein Rassist“ zum Chef eines mächtigen Landes gewählt wurde: „Die Tragödie ist, dass, die es wussten, ihn zugelassen haben.“

Wer hätte es verhindern können?

 

Dass es mit Umweltschutz, Frauen- und Minderheitenrechten sowie Anstand und Vernunft unter einer Trump-Regierung bergab gehen würde, war vorherzusehen. „Demokratie ist nicht Kapitalismus“, meinten Georg Diez und Emanuel Heisenberg vor einer Weile erinnern zu müssen, als ob irgendwer außerhalb der SPON-Redaktion die beiden gleichsetzen und „Das Kapital“ nicht seit 150 Jahren in gutsortierten Bibliotheken stehen würde. Denn der Wirtschaft ist es wurscht, ob und welche Rechte die Bürger eines Landes haben, solange die nicht den Investitionen in die Quere kommen. Erst recht ist es der Wirtschaft herzlich egal, ob Frauen keine andere Wahl haben als das Kind ihres Vergewaltigers auszutragen, Schwarze bei jeder Polizeikontrolle in Lebensgefahr schweben oder 40 Prozent der Amerikaner felsenfest davon überzeugt sind, Gott habe die Welt vor etwa 6.000 Jahren erschaffen und Millionen Jahre alte Saurierknochen darin versteckt.

Trumps Kabinett der Milliardäre ist so wirtschaftsfreundlich wie es auch Clintons Kabinett gewesen wäre. Es wird allerhand Regulierungen beseitigen und den öffentlichen Sektor privatisieren, auch die Durchsetzung umstrittener Pipeline-Projekte gegen den Widerstand von Indigenen und Umweltschützern sorgt in den Vorstandsetagen für ein zufriedenes Nicken. Groß allerdings kann dort die Begeisterung über Trump nicht sein. Wirklich erfolgreiche US-Unternehmer wissen, dass er keiner von ihnen ist, sondern ein Großmaul, das allein durch sein Erbe und seine kriminelle Energie immer wieder einer überfälligen Privatinsolvenz entgeht. Unberechenbarkeit macht das Kapital nervös und Trumps Verhalten ist erratisch. Via Twitter drohte er Unternehmen mit Strafzöllen, sollten sie außerhalb der USA investieren – ein Eingriff in die Republikanern heilige Privatwirtschaft, der dem von ihnen wegen seiner gesetzlichen Gesundheitsvorsorge als Sozialisten beschimpften Obama nie eingefallen wäre. Und dann ist da der Ausstieg aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen als eine von Trumps ersten Amtshandlungen, die nicht nur bei asiatischen Handelspartnern für Irritationen – bei seinen globalisierungskritischen Anhängern jedoch für Jubel – gesorgt haben dürfte.

 

Also zurück zu Greffraths Frage, wer diesen Präsidenten zugelassen hat: Konnte Trump gegen die herrschende Ordnung in Wirtschaft, Medien und Politik gewählt werden, ist sein Sieg also einer der Demokratie?

Das Narrativ vom Elitekomplex, gegen dessen Interessen keine gesellschaftlichen Entscheidungen getroffen werden können, ist sowohl populistisch (rechts wie links) als auch Teil des Diskurses über Postdemokratie. Es sei also zunächst in guter demokratischer Tradition angenommen, die Mehrheit der US-Wähler – obwohl es nur die Mehrheit in den entscheidenden Swing States war – habe against all odds ihren Kandidaten Trump durchsetzen können. Dann stellt sich die Frage, was das für Leute sind und was mit ihnen los ist.

 

Ein Sieg der Demokratie?

Vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos zählte die Hilfsorganisation Oxfam auf, die acht reichsten Personen besäßen inzwischen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Die Ungleichheit beschädige den sozialen Zusammenhalt, untergrabe den Glauben an die Demokratie und helfe auf diese Weise Populisten wie Donald Trump.

Dass 58 Millionen US-Wähler nicht alle Idioten und frauenfeindliche Rassisten sein können, war ja schnell klar. Auch Jürgen Kaube (FAZ) warnte im November sofort vor Wählerverachtung. Man muss nicht blöd sein, um sich an der Wahlurne von irrationalen Affekten und Ressentiments leiten zu lassen. Wer über die Alternativlosigkeit verzweifelt ist, wählt auch einen schamlosen Maulhelden, der in jeder Hinsicht unglaubwürdig ist – bis auf diejenige, dass er tatsächlich eine Alternative im Sinne von etwas nie dagewesenem ist. Kaube schließt mit dem gleichfalls seit November üblichen Tadel an die Intellektuellen, die „einfachen Leute“ zur Kenntnis zu nehmen. Ihr Votum ist – ähnlich wie beim Brexit und zur narzisstischen Kränkung der bereits vor Amtsantritt historisch unpopulären Trump-Administration – keines für die Alternative, sondern eines gegen die Alternativlosigkeit.

 

In der winterlichen Zwischenzeit ist das Desideratum Kaubes et.al. erfüllt worden und erste ordentliche Untersuchungen über Trump-Anhänger liegen vor. Katherine J. Cramer hat sich fünf Jahre lang in Wisconsin umgehört. Bereits im März 2016 erschien ihre Feldstudie „The Politics of Resentment“ und machte den Stadt-Land-Gegensatz als maßgeblichen politischen Faktor aus. Die weiße ländliche Mittelschicht sieht sich von einer urbanen Politik gedemütigt, deren Vertreter sich allenfalls für Blitzbesuche ins Fly-over-Territorium begäben und Minderheiten aus einem falschen schlechten Gewissen ungebührende Vorrechte einräumten.

Arlie Russell Hochschild wiederum hat im Süden der USA lebhafte Psychogramme über Trump-Wähler erstellt, indem sie aus dem kalifornischen Berkeley ins petrochemisch verseuchte, scheinbar erzreaktionäre Louisiana reiste und ebenfalls die Leute erzählen ließ. Sie sind von der herrschenden Ordnung zutiefst enttäuscht und verlassen sich nur auf sich selbst, d.h. auf Job und Zuhause, die jedoch beide in Gefahr sind. Nicht Dummheit und Rassismus, sondern Hoffnungslosigkeit und Wut haben sie – ohne jede Begeisterung – für Trump bzw. gegen Clinton stimmen lassen. (Hochschilds interessantes Buch wurde auch bei Deutschlandradio Kultur vorgestellt.)

 

Ein erfolgreiches Votum gegen „das System“?

Trump wäre demnach nicht für ein Programm gewählt worden, das er ja auch gar nicht hatte. Es ging nicht um Revolution oder Restauration, sondern um den Bruch mit dem Bestehenden.

 

Es wäre auch eine paradoxe Rettung der Demokratie, wenn sie durch einen Kandidaten erfolgte, der im Wahlkampf und danach immer wieder seine Verachtung der Demokratie und der Wähler bekundet hat: Trump werde die Wahl nur im Falle seines Siegs akzeptieren. Er könne in der 5th Avenue jemanden erschießen und würde keinen einzigen Wähler verlieren. (Stimmt, weil New York City zu 86 Prozent gegen ihn gestimmt hat.)

Auf seiner „Thank You Tour“ erinnert er schamlos offen daran, das System „rigged“ genannt zu haben, was er nun, da er gewonnen habe, nicht mehr tun würde: „I don’t care!“ Als die Menge bei der Erwähnung der Clintons in den Schlachtruf „Lock her up!“ verfällt, wird sie von Trump belehrt: „That plays great before the election – now… We don’t care, right?“ Anderswo erklärt er, von seinem Slogan „Drain the Swamp!“ gar nichts gehalten zu haben, bis er gemerkt habe, wie seine Anhänger darauf abfahren, und dann habe er ihn auch ein paar Mal wiederholt, als ob er es ernst meine.

Trevor Noahs Daily-Show-Team hat diese Szenen zusammengestellt, in denen ein gewählter Spitzenpolitiker seinen Anhängern unverhüllt erklärt, mit ihnen gespielt zu haben, und dafür von diesen Leuten bejubelt wird, die den Glauben an die Demokratie verloren haben wollen.

Demokratie ist unter den Regierungsformen das, was die Philosophie unter den Wissenschaften sind: Sie sind jeweils die einzigen ihrer Art, die sich gegen sich selbst richten können.

Fortsetzung folgt.

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