Politik als Spektakel

Politik ist langweilig. Wer wüsste das besser als jemand, der seine harten Brötchen u.a. mit politischer Bildung verdient.

Aus der Politik heißt es oft , man müsse sie „besser erklären“: die EU, die Finanz- oder Flüchtlingspolitik, die gesellschaftlichen Veränderungen oder gleich die Welt. Versuchen es Politikerinnen und Politiker, geben sie meistens ein armseliges Bild ab. Die wenigsten Mathematiker sind gut darin, in Mathe Nachhilfe zu geben.

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Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (vorne links) in einer Diskussion auf der Bundesplanungstagung in Leipzig.

Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist manch einem Grund genug, es dennoch versuchen zu wollen. Bei einer Tagung in Leipzig wies Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, darauf hin, für wie unnötig die Biedenkopf-Regierung seine Institution und ihre Arbeit hielt. Nun bist du zu befangen, um dir ein Urteil anzumaßen, ob PEGIDA die Quittung dafür ist, an politischer Bildung gespart zu haben. Du bist aber skeptisch.

Denn bestimmt hilft es, den Leuten in jungen Jahren Diskussionen zum Beispiel darüber zuzumuten, ob die Aufnahme von Schutzsuchenden der persönliche Spleen der Kanzlerin ist oder was in einer Demokratie geht und was nicht – und warum. Schon die Diskussion über einen Volksentscheid zur Wiedereinführung der Todesstrafe wäre zum Beispiel infam. Würde er durchgeführt und sich eine Mehrheit dafür aussprechen, Menschen unter Umständen zum Tode im Namen des Volkes verurteilen zu können, wäre das eine Katastrophe – und irrelevant: Dieser volkszornige Ausdruck prähistorischen Gerechtigkeitsempfindens stößt in einer Demokratie an die gut begründeten Grenzen dessen, was politisch umgesetzt werden kann und darf.

So kann man in den Leuten ein Gefühl dafür erwecken, dass Demokratie mehr ist als Wählengehen und Mehrheitsentscheid, dass nämlich ihre Vorzüge im Alltag unsichtbar sind, jedenfalls für alle, die es normal finden, vor die Tür treten zu können ohne den Nächsten oder gar einen Beamten fürchten zu müssen.

 

PEGIDA, AfD und ihre Anhänger sind für Argumente und Diskussionen nicht mehr erreichbar. Frank Richter ist übel gescholten worden dafür, den Pegidisten vor anderthalb Jahren Raum für eine Pressekonferenz zur Verfügung gestellt und mit ihnen das Gespräch gesucht zu haben. Du hast das mutig gefunden: Da will einer die Leute unbedingt aus der Isolation holen, in der sie sich immer weiter radikalisieren. Genützt hat es nichts, denn sind sie da erstmal drin, hilft politische Bildung auch nicht weiter: Jeder Versuch, ihnen „Politik zu erklären“, würde als links-grüne Umerziehung abgewehrt werden – und im Übrigen ist es nicht Aufgabe der politischen Bildung, „Politik zu erklären“.

Die so oft bekundete Notwendigkeit, „Politik zu erklären“, passt zum verbreiteten Missverständnis, Politik sei eine Dienstleistung. Der Kundenanspruch lautet, für stabile Verhältnisse insgesamt und persönliches Fortkommen im Speziellen zu sorgen. Partizipation beschränkt sich darauf, Anbieter zu vergleichen und sich darüber aufzuregen, dass die Falschen den Zuschlag bekommen haben und der Vertrag eine Laufzeit von vier Jahren hat. (Du bist immer wieder überrascht, wie viele Leute nicht wissen, dass sie eine/n Bundestagsabgeordnete/n haben und sich in einer Sprechstunde oder z.B. per Post oder E-Mail an ihn/sie wenden können.)

Da es viele Gründe gibt, den Markt überhaupt und diesen Markt im Speziellen abzulehnen, ist es schwer, nicht unversehens in der Querfront zu ihm zu landen, die Radikale von links wie rechts in ihrem bloßen Dagegensein vereint.

Zum Markt gehört – Seeßlen-Leser wissen das – unbedingt das Spektakel. Auch zu diesem. Wahlkämpfe und die Aufregung um sie werden umso größer, teurer, greller je kleiner der Unterschied zwischen den Kandidaten wird. Auf den ersten Blick scheint es keinen deutlicheren Unterschied zwischen Hillary Clinton und Donald Trump zu geben; bald aber schiene ein Duell zwischen dem Tea-Party-Evangelikalen Ted Cruz und dem Sozialdemokraten Bernie Sanders als krassere Variante, die aber in den Ausleseprozessen als zu krass hängen geblieben ist.

Das Getöse des US-Wahlkampfs spaltet das Land in zwei feindliche Lager und täuscht zugleich darüber hinweg, wie egal es ist, ob Trump oder Clinton ins Weiße Haus einzieht. Wer sich davon überzeugen will, wie machtlos der als „mächtigste Mann der Welt“ annoncierte Amtsinhaber ist, braucht sich nur anzuschauen, wie Obama mit jeder Ansprache nach einem mit legalen Schusswaffen verübten Massenmord gealtert ist:

„No Matter Who You Vote For The Government Always Gets In“, sang die Bonzo Dog Doo-Dah Band aus dem Heimatland des Politologen Colin Crouch, der mit „Postdemokratie“ den Begriff für ein System prägte, in dem demokratische Institutionen noch funktionieren, politische Entscheidungen aber kaum noch vom Wähler beeinflussbar sind.

Dieser kann sich darob in den apathischen Konsum zurückziehen, die Demokratie insgesamt zugunsten autoritaristischer Sehnsüchte verwerfen oder muss sich mit einem Spektakel auseinandersetzen, dass umso größer wird, je hohler die damit umhüllten politischen Prozesse werden. Der US-Wahlkampf wird in den kommenden Monaten die Messlatte legen für das, was sich in Europa erst anbahnt. Groß war die Aufregung um die österreichischen Präsidentschaftswahlen, bei denen Norbert Hofer, der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ, nur knapp Alexander Van der Bellen unterlag. Es war in der Tat knapp (30.000 Stimmen und eine mögliche Wahlanfechtung), aber die mediale Aufregung im Vorfeld war ziemlich übertrieben. Mehr noch gilt das für das Gewese, das um Trump gemacht wird und eher von der Angstlust unserer Medienleute kündet. Obwohl sicher ist, dass er nicht zum Präsidenten gewählt werden wird, ergeht sich alle Welt in Horrorvisionen darüber, wie er die USA erst lächerlich machen und dann in den Abgrund führen wird.

Das gleiche Spiel wurde in den vergangene Wochen in der Berichterstattung zum Brexit getrieben, ganz so, als solle dem zum Markt verkommenen Feld des Politischen qua Spektakel die gängige Sexiness verpasst werden, die alles haben muss, wenn es in der medial durchdrungenen Welt sein will. Die Folgen eines Austritts wären katastrophal? Die Umfragen sind knapp? Ideale Bedingungen für ein „dramatisches“ Spektakel, in dem nie thematisiert wird, wie oft die Umfragen seit Jahren danebenliegen.

Keep calm and carry on ist schwer durchzuhalten in der produzierten Aufregung, aber ratsam. Denn die Briten werden sich morgen mit einer als „überraschend deutlich“ bezeichneten Mehrheit für den Verbleib in der EU entscheiden.

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