Es gibt Dinge…

…auf die man sich nicht zu sehr freuen sollte; zum Beispiel ein neues Computerspiel von EA Games.

Im Alter wird man ruhiger und ist schwerer zu begeistern. Mit den Jahren haben sich Enttäuschungen aufgehäuft, die einen gelehrt haben, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben. Tut man es doch, ärgert man sich nicht mehr über ihre Enttäuschung, sondern wundert sich, für solche Jugendsünden noch immer nicht zu alt zu sein.
Du hast dich seit Wochen auf „Battlefield 3“ (BF3) gefreut. „Vorfreude“ ist jedoch – das hättest du wenigstens ahnen können – nur ein Anagramm von „Reue V Dorf“.

Spielszene aus "Battlefield 3" (BF3): Ob iranischer Großstadtdschungel, Kavir-Wüste, Pariser Boulevard oder Times Square - die Level bzw. Karten sind sehr eindrucksvoll in die Computerkiste gebannt.
Spielszene aus „Battlefield 3“ (BF3): Ob iranischer Großstadtdschungel, Kavir-Wüste, Pariser Boulevard oder Times Square – die Level bzw. Karten sind sehr eindrucksvoll in die Computerkiste gebannt.

Diese Woche ist das Spiel angekommen. Die Graphik ist mind-blowing. Es sieht wirklich alles sehr schön bzw. echt aus. Davon haben aber selbst diejenigen kaum etwas, die sich zum Spiel einen brandneuen PC leisten konnten, der die Großstadtfluchten mit allen Wetter-, Licht- und Raucheffekten auch darstellen kann. Der Spieler wird nämlich durch die Level gehetzt, als fürchteten die Entwickler, der ganze „eye candy“ würde mehr als einem flüchtigen Blick nicht standhalten können.
Und BF3 ist wirklich sehr dünnbrüstig. Wie den Vorgänger hast du das Spiel binnen Stunden durchgespielt. Dabei haben die Entwickler diesmal sogar noch versucht, die Spieldauer zu verlängern, indem sie den Spieler in einigen Sequenzen zwingen, genau im richtigen Moment auf eine bestimmte Taste zu hauen. Da hämmerst du dann wie ein Depp auf die Leertaste ein, um den entscheidenden Sekundenbruchteil zu erwischen und die ganze Sequenz nicht zum hundersten Mal von Anfang an wiederholen zu müssen. Im Vorgänger „Battlefield: Bad Company 2“ (BF:BC2) hat man den Spieler mit Boots- und Buggytouren beschäftigt gehalten. Die waren genauso sinnfrei, aber wenigstens hat man dabei was von der schicken Computerspiellandschaft gesehen.

Die Hintergrundhandlung des Spiels ist so flach wie erwartet und ein Aufguss der Geschichte, die „Call of Duty 4: Modern Warfare“ (COD4:MW), dessen Nachfolgern und fast allen im Zeitgenössischen angesiedelten Taktik-Shootern zugrunde liegt: Ein einziger fieser Terrorist bedroht die USA mit Nuklearwaffen und löst beinahe einen Weltkrieg aus. In BF3 übernimmt nach einem schweren Erdbeben (das sehr beeindruckend in Szene gesetzt ist) die PLR (People’s Liberation and Resistance – ?!) die Macht im Iran, der darauf von den USA angegriffen werden muss (?!), die in einem Teheraner Banksafe (!?) auf tragbare Atomwaffen stoßen, von denen zwei fehlen, nach denen dann auch die Russen suchen, weshalb am Ende auch US-Soldaten und russische Fallschirmjäger aufeinander schießen, ehe gemeinsam Jagd auf den Terroristen gemacht wird…
Kurzum: Die Geschichte ist lächerlich; sie von der Konkurrenzreihe „Call of Duty“ abzukupfern, umso mehr. Aber nicht nur die Geschichte ist wenig originell. Die Musik des Spiels ist zusammengeschmiert aus der Filmmusik von „Terminator“ und „Tron:Legacy“, von letzterem ist auch die graphische Ästhetik übernommen worden. Wie schon in BF:BC2 kommen dir die Missionen und Sequenzen bekannt vor, denn du hast sie so oder so ähnlich schon in COD gesehen. EA Games und Entwickler DICE kopieren dasselbe Spiel zweimal. Hier wie dort ballern wir mit dem Bordgeschütz eines Helikopters herum, hier auf eine Wüstenstadt, dort auf eine Eisfestung. Und immer geht es nach Aserbaidschan, um ein safe house oder die Villa eines Drogenhändlers zu stürmen! Unter Beschuss flüchtet der Spieler über ein Trümmerfeld in einen Abwasserkanal – hier klaut BF3 bei seinem Vorgänger – und im letzten Moment schafft es der Spieler auf einen abhebenden Helikopter.

Spielszene aus "Call of Duty 4: Modern Warfare" (COD4:MW): Der Spieler steuert einen Luftangriff. Die zynischen Kommentare der Hubschrauber-Piloten aus der 2010 veröffentlichten Aufnahme Collateral Murder von Wikileaks kanntet ihr so ähnlich schon aus dem Computerspiel von 2007, dessen Entwickler die Sprüche der Crew von ihren militärischen Beratern haben.
Spielszene aus „Call of Duty 4: Modern Warfare“ (COD4:MW): Der Spieler steuert einen Luftangriff. Die zynischen Kommentare der Hubschrauber-Piloten aus der 2010 veröffentlichten Aufnahme Collateral Murder von Wikileaks kanntet ihr so ähnlich schon aus dem Computerspiel von 2007, dessen Entwickler die Sprüche der Crew von ihren militärischen Beratern haben.

Die Poststrukturalisten beschäftigen sich immer noch mit dem Einzug der Computerspielästhetik in die Kriegsführung, die in den Kriegen der 90er mit dem „live feed“ aus „smart bombs“ aufkam und den ganzen postmodernen Simulacra-Scheiß noch mehr befeuerte. Am Computer ist die Metaebene längst begehbar. In COD4:MW sitzt der Spieler an Bord eines AC-130 Spectre Gunship (eine fliegende Artilleriestellung) und klickt alles weg, was sich auf dem Infrarotmonitor regt. In BF:BC2 gibt es praktisch die gleiche Sequenz, nur steuert man hier eine Drohne. In BF3 kreist man nun in einer F-18 Superhornet über Teheran und koordiniert Luftangriffe auf den Flughafen Mehrabad. In allen drei Fällen ist es das gleiche Bild: Das Computerspiel simuliert die Computerspiel-Ästhetik, die eine tatsächliche Bombardierung verdeckt. Hijack this, Paul Virilio!

Jenseits dessen spielt man in allen genannten Titel im Einzelspielermodus – und nur um den geht es hier – die Standards des 80er-Jahre-Action-Kinos durch. Gewiss ist es zu viel von Spieleentwicklern verlangt, sich selbst militärische Einsatzerfahrung zu verschaffen oder wenigstens ein geeignetes Buch zu lesen, anstatt bloß die gleichen Filme zu gucken wie die Konkurrenz und sie dann nachzuprogrammieren. Schließlich hatte auch COD4:MW sich reichlich bei neulichen Kriegsfilmen bedient. Eine Mission ist vom Hubschrauber-Anflug über das Abseilen und den Häuserkampf bis hin sogar zur Musik die spielbare Version der ersten halben Stunde von Ridley Scotts „Black Hawk Down“. Die Entwickler von BF3 machen jedoch ihren Mangel an eigenen Einfällen mit besonderem Elan beim „kreativen Ausleihen“ wett, wenn sie sogar ganze Dialogsequenzen aus der Glotze klauen.
So fragen sich die Soldaten um den Spieler an einer Stelle, warum sie absichtlich in einen Hinterhalt hineinfahren, und erklären es damit, dass der Hinterhalt gelegt worden sei, damit sie ihn umfahren. Das steht Wort für Wort in dem Buch „Generation Kill“ von Evan Wright, der für das Rolling Stone Magazine 2003 eine Einheit des 1st Reconnaissance Battalion der Marines bei der Irak-Invasion begleitete. Den Anschiss, den die Soldaten in BF3 daraufhin von ihrem Vorgesetzten erhalten, haben sie in „Generation Kill“ an anderer Stelle bekommen, aber im selben Wortlaut: „Frankly gentlemen, I’m not hearing the aggressiveness I’d like!“ Die Johnny-Cash-hörenden Marines sind noch das kleinste Generation-Kill-Plagiat in BF3. (Vielleicht ist die Zugehörigkeit des Spielprotagonisten zum selben „1st Recon“ als Quellenbeleg gemeint…)

Szene aus "Generation Kill", der HBO-Adaption des gleichnamigen Buchs von Evan Wright: Cpl. Ray Person weiht den eingebetteten Reporter gerade in die militärische Logik ein, dass die Marines in einen Hinterhalt reinfahren werden, weil der Gegner sie mit dem Hinterhalt zum Umfahren zwingen will.
Szene aus „Generation Kill“, der HBO-Adaption des gleichnamigen Buchs von Evan Wright: Cpl. Ray Person weiht den eingebetteten Reporter gerade in die militärische Logik ein, dass die Marines in einen Hinterhalt reinfahren werden, weil der Gegner sie mit dem Hinterhalt zum Umfahren zwingen will.

„Battlefield“ und „Call of Duty“ schenken einander nichts. So hemmungslos, wie die jüngeren Titel der Battlefield-Reihe sich beim Konkurrenten und überall sonst bedienen, wirkt der natürlich auf COD abzielende Werbespruch von BF3 nur noch affig: „Above and beyond the call“
Peinlich wird das Ganze, wenn die Hersteller auch noch einen Roman zum Spiel raushauen, der Leben und Wirken der im Spiel vorkommenden Charaktere näher ausleuchten will. Nämliche Figuren sind zwar keine personifizierten Stereotype wie in der „Bad Company“-Reihe mehr, in der der Spieler mit einem Redneck, einem Nerd und einem Sarge unterwegs ist, der seine Abgebrühtheit beweist, indem er jeden Satz mit „okay“ oder „alright“ anfängt und nie ohne Schimpfwort zu Ende bringt. Doch von einem Ehrgeiz, der Geschichte und den Figuren eine Tiefe zu verleihen, die nicht völlig hinter derjenigen der Graphikeffekte zurückbleibt, ist bei BF3 nichts zu merken.
Für die billigsten Tricks aus dem Drehbuch-Workshop reicht es gerade mal. Natürlich ist es der liebende Vatersoldat, der von den Bösen ermordet wird. Der Spieler muss später seinen kommandierenden Offizier abknallen, den das Spiel als inkompetenten Karrieristen eingeführt hat. Es gilt, französische Polizisten zu erschießen, obwohl sich auch damit nicht verhindern lässt, dass in Paris eine Atombombe explodiert. Der Versuch, die Charaktere zwielichtig und die Geschichte interessant zu machen, geht in die Hose, weil alle Figuren am Ende doch nichts Besseres mit sich anzufangen wissen, als ganz alleine für die Rettung des Landes ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Im Reigen der US-kulturellen Topoi hätte nur noch gefehlt, dass dem Protagonisten, der against all odds seine Unschuld beweist und die New Yorker vorm Strahlentod bewahrt, die Ex-Frau in neu entbrannter Liebe um den Hals fällt.

Ohne Internet und Hosenrunter geht heute gar nichts mehr

Was soll’s – die Battlefield-Reihe ist für den Multiplayer-Modus gedacht, für den via Internet ausgetragenen Kampf, Teenager gegen Teenager. Das von der Fachpresse über BF3 ausgeschüttete Lob resultiert daraus und nicht aus dem Singleplayer-Modus, auf den die Entwickler nicht mehr Hirnschmalz als gerade notwendig verwenden mussten.
Dich unterscheidet von anderen BF3-Spielern neben deinem hohen Alter auch der Mangel an „Konnektivität“. Mit deiner ISDN-Verbindung hinterm Deich kannst du gerade mal E-Mails abrufen und Blogposts hochladen. Für ein Onlinespiel musst du den PC zu deinen Altvorderen in die Breitband-Zivilisation schaffen. Das aber ist mit jedem neuen Titel der Battlefield-Reihe unattraktiver geworden. Deine Halbwertszeit im Onlinespiel beträgt inzwischen ungefähr eine halbe Minute, ehe dich irgendein Teenie abknallt, ohne dass du ihn gesehen hast, geschweige denn selbst einen Schuss abfeuern konntest. Das mag durchaus realistisch sein, schließlich wird auch ein Großteil aller Kriegstoten im Schlachtengetümmel gestorben sein, ohne mitgekriegt zu haben, was gerade vor sich geht. Dem Spielspaß (und darum geht es! Es ist ein Spiel!) ist der mit jedem neuen Teil der Reihe gesteigerte Realismus aber nicht förderlich. „Quake III Arena“ war und ist mit seinen Portalen und Jumppads so realistisch, wie „Crank“ ein Dokumentarfilm über Hormonstörungen ist – und genau deshalb machen beide Spaß.
Bei BF2 aus dem Jahr 2005 hattest du noch die Möglichkeit, auf den Karten für Onlinespiele offline und in Ruhe gegen computergesteuerte Bots zu spielen. Das machte und macht so viel Spaß, dass du auch nach sechs Jahren immer noch gerne eine solche Runde BF2 zockst. Die Möglichkeit, den Multiplayer-Modus auch ohne Internet zu nutzen, wurde bei BF:BC2 gestrichen und bei BF3 fehlt sie auch, obwohl der Titel als Nachfolger von BF2 gelten soll. Die Spieleentwickler begründen diese Entscheidung damit, die Kontrolle über die Server und alle Spiele behalten zu wollen – vorgeblich um Geschummel zu unterbinden. (Wess‘ Geistes Kind die Aufpasser von EA und DICE sind, verrät ihre Begründung, warum der Kopierschutz es unmöglich macht, das Spiel gebraucht zu kaufen: an gebrauchten Spielen verdienen wir kein Geld)

Bleibt dir also nur, – wie schon bei BF:BC2 – die Einzelspielermissionen immer wieder durchzuspielen, bis du jede geklaute Szene und jeden geklauten Spruch auswendig kannst?
Anders als bei BF:BC2 ist es für BF3 notwendig, die Origin-Software zu installieren, die den Browserverlauf protokolliert und an EA Games mitsamt personenbezogener Daten zur Weiterverwendung übermittelt. Da hast du also gutes Geld ausgegeben für ein Produkt, von dem du nicht viel hast, weil der Hersteller es nicht aus der Hand geben will und dir auch noch beim Surfen zuguckt? Man könnte zum Piratenwähler werden! –

Schluss damit

Fast alle Kritik bezieht sich auf Origin und hat dazu geführt, dass BF3 bei Amazon mit nur knapp über einem Stern bewertet ist – ein Spiel, das von der Presse gefeiert wird.
Spielezeitschriften haben wesenhaft das gleiche Glaubwürdigkeitsproblem wie Autozeitschriften: Ihre Leser erwarten objektive Berichte, um sich vor einer Kaufentscheidung orientieren zu können. Aber die Autoren leben nicht von den Lesern, sondern von den Inserenten, über deren Produkte (und sonst nichts) sie berichten.
BF3 konnte sich bereits vor dem Erscheinungstermin der über 50 Auszeichnungen, die internationale Zeitschriften dem Spiel verliehen haben, und der 3 Mio. Käufer rühmen, die das Spiel vorbestellt haben. Wie viele von ihnen haben schon einmal im Frust über Bugs, Kopierschutz und all die anderen Zumutungen ins Internet schrieben, sie würden nie wieder ein Spiel von EA Games kaufen? (Tatsächlich warst du überrascht, dieses EA-Spiel ohne einen Fehler oder Absturz beim ersten Versuch installieren und starten zu können.)

Mit der hanebüchenen, zusammengeplünderten Geschichte eines langweiligen bis nervigen Singleplayer-Modus hättest du vielleicht noch leben können. Wenn dir der Mist aber von Leuten vorgesetzt wird, deren Motive mit den Stichworten „Geld“ und „Kontrolle“ hinreichend bestimmt sind, dann kannst du dich im Internet darüber beklagen. Oder aber du wählst ein Feedback, das dem Hersteller nicht so am Arsch vorbeigeht. Du wirst das Spiel deinstallieren und zurückschicken.

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