Lernen durch lehren

Ein schöner Effekt im Brotberuf ist, dass du viele Dinge erst in dem Moment so richtig verstehst, in dem du sie den Kinderchen erklärst. Kürzlich ging es mal wieder um den Staat, wo du mit deinem „Hobbes für Hartz-IV-Empfänger“ hoffnungslos dem Rechtspositivismus verfallen bist, der sich von keiner Geschichte der Kinderchen über die Beschaffungslegalität kiffender Zollbeamter erschüttern lässt. (Das System ist theoretisch das beste, was es gibt; praktisch gilt leider R.D. Brinkmanns Diktum: „Menschen versauen jeden Ort. Das ist eben Demokratie.“)
Anlass des Repetitoriums war – natürlich! – die Sarrazin-Debatte. Zunächst hatte der Karl Dall der Rassen- und Soziallehre bei den Kinderchen zu Beginn des Medientheaters noch großen Beifall gefunden, weil nach dem BILD-Filter nur noch die Message „Ausländer raus!“ übrig blieb. Nachdem du ihnen klargemacht hast, dass die Kinderchen mit Blick auf Transferleistungen, Bildungsgrad und Fertilität selbst im Visir von Sarrazin und den Seinen stehen, wurde es stiller. Die Stille schlug auf dem Höhepunkt der Debatte in Panik um, als – wie nach Westerwelles spätrömischer Geschichtsstunde im Frühjahr – die ersten Hinterbänkler ihre Vorschläge zur weiteren Kujonierung der Unterschicht hinausblökten. Komischerweise gucken die Kinderchen weder Nachrichten, noch lesen sie Zeitung, sind aber immer auf dem neuesten Gerüchtestand in Sachen Wohlfahrtsstaat.
Von dort aus fragten sie neulich also, ob die Hartz-IV-Sätze jetzt wirklich halbiert werden – schließlich hätte das ein Politiker vorgeschlagen. Politiker können viel vorschlagen, fordern, empfehlen und anraten – und machen leider auch regen Gebrauch davon. Nur ist zum Glück fast all das Zeug, was da in die Politikspalten und ihre Endmoränen geröhrt wird, dank der Vorzüge unseres Rechtsstaats mit Gewaltenteilung und allem drum und dran – theoretisch! – noch nicht einmal Säbelrasseln: „Sorgen machen müssen Sie sich erst, wenn so eine Gesetzesänderung in den Bundestag kommt. Das dauert aber erstens sehr lange“ (außer, wenn es um Banken oder AKWs geht) „und zweitens wird jeder Gesetzesentwurf im Bundestag noch weichgespült.“
Also noch einmal flink die Staatstruktur an die Tafel geschmissen, gruppiert nach Gewaltenteilung und wer was wählt. Schließlich sind bald Abschlussprüfungen und eine kleine Wiederholung kann ja nicht schaden. Was dir dabei aufging, wird einen studierten Politologen nicht vom Hocker hauen, aber nuja…
Da gelte es, so hobst du an, zunächst einmal „die Politiker“ zu unterscheiden. Bundestagsmitglieder können rumschreien, wie sie wollen, da wird nie ein Gesetz daraus und nur Gesetze gelten was. Wer nicht im Bundestag oder zumindest im Landtag sitzt, schreit umso lauter, was umso bedeutungsloser ist (und umso lieber weiterverbreitet wird). Dann gibt es da noch Kabinettsmitglieder, das sind die Minister, die als Teil der Exekutive Chefs der diversen Behörden sind, nur innerhalb des Rahmens der Gesetze handeln dürfen und diesen nicht selber erweitern dürfen.
Denn dein Lieblingsbeispiel, um den Sinn der Gewaltenteilung zu illustrieren, ist der Polizist, der zu Hause keinen hochkriegt, und dem eines deiner Kinderchen in die Hände fällt. Weil er nötig sein Ego aufpolieren muss, erlässt er stantepede ein Gesetz, wonach Blondsein (oder welche hervorstechende Eigenschaft auch immer der Lauteste im Kurs aufweist) eine Straftat ist (Legislative), auf Grundlage dessen er das Kindlein verhaftet (Exekutive) und sogleich zum Tode verurteilt (Iudikative), was er noch vor Ort ohne Pressemeldung (Vierte Gewalt) zu vollstrecken bereit ist (wieder Exekutive).

Aber ist das denn wirklich so? Ein Minister, der eigentlich für die Vollstreckung von Gesetzen und nichts anderes zuständig ist, legt der Ministerrunde einen Gesetzesentwurf vor. An der Spitze des Kabinetts stehen die Chefs der Parteien, die die Mehrheit im eigentlich legislativen Bundestag haben. Diese obersten Angehörigen der Exekutive ordnen den Fraktionsmitgliedern ihrer Partei an, dieses Gesetz in der Legislative zu verabschieden, damit es von den Ministern, die es verfasst haben, vollstreckt werden kann. Fehlen nur noch die von der Exekutive ernannten Verfassungsrichter, die den ganzen Zirkus (inzwischen nicht mehr ganz so häufig) in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz sehen.
Der Lerneffekt blieb nicht auf dich beschränkt: Die Kinderchen runzelten die Stirn und meinten, das wäre doch genauso wie im Beispiel des Polizisten, der sich seine eigenen Gesetze gibt, nix Gewaltenteilung. Ihr habt dann auch lieber mit Beispielen auf der Ebene, wo nicht entschieden wird, weitergemacht; sonst überfallen die Kinderchen am Ende noch eine Polizeistation und sagen später, ihr Deutschlehrer hätte gesagt, Hobbes hätte gesagt, ein Bürger hätte ein Widerstandsrecht gegen den Staat.
Wärest du kein freischaffender Logos-Söldner, sondern richtiger Lehrer mit Staatsexamen und Beamtenlaufbahn, hätte man dich in Baden-Württemberg für einen solchen Unterricht —
Naja, man kann es sich ja denken.

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