Oh, Hartz Times, come again no more

‚Tis the song, the sigh of the weary. Hard times, hard times, come again no more. Many days you have lingered all around my cabin door. Oh, hard times, come again no more.
– Bob Dylan, „Hard Times“

An jedem Monatsersten bilden sich vor den Kontoauszugsdruckern lange Schlangen. Vor allem Omas. „Müssen die auch ihre Umsatzsteuervoranmeldung machen?!“, fragst du dich genervt. 80 Jahre haben die Damen, die ihre komplette Rente in bar nach Hause schleppen, auf die abermalige Bestätigung ihres Argwohns gegenüber der Krisensicherheit von Buchgeld warten müssen.
Anschließend bist du zum Asselamt, um die Formulare zur Beantragung von Alg II zu besorgen. Denn langsam wird es schwierig, die tägliche Suppe auf den Tisch zu kriegen.

Grundnahrungsmittel des animal scribens: Buchstabensuppe.
Grundnahrungsmittel des animal scribens: Buchstabensuppe.

Anders als normale Leute kriegst du am Monatsersten höchstens zufällig etwas überwiesen, nie jedoch einen Nettolohn für die letzten oder nächsten 30 Tage. (Das hat – abgesehen von den Finanzen – aber nur gute Seiten.) Dein Konto ist bis zum Dispo überzogen. Der Verlag hat gerade auch keine Kohle, um dir dein Honorar auszahlen zu können.
Für den Freiberufler, in dessen Mischkalkulation Nachhilfestunden die Grundsicherung abdecken, ist der Sommer die Saure-Gurken-Zeit: wenn die Kinderchen ihre Zeugnisse und Ferien haben; dafür heißt es im Winter dann auch hoch die Tassen und jeden Tag Pudding, wenn die Halbjahreszensuren am Horizont drohen. Letztes Jahr hast du dich gut auf das Übersommern vorbereitet, indem du frühjahrs ordentlich Kohle zusammenmalocht hast. Und jetzt? Was hast du dieses Frühjahr eigentlich die ganze Zeit gemacht, außer Schnee zu schaufeln und lichtwolf.de umzuprogrammieren?
Das hast du jetzt davon und so bist du gen Sozialamt gezogen, standesgemäß mit Dreitagebart und einem Rucksack voller klimperndem Leergut („ruhendes Kapital“). Eigentlich müsstest du dir mal sommertaugliches Schuhwerk kaufen (können), weil du dir lieber die Füße abhacken als sie in Flipflops stecken würdest und schwarze Halbschuhe zu kurzer Hose total beknackt aussehen – beim Amtsbesuch aber völlig ihren Zweck erfüllen. Ebenso eigentlich müsstest du mal eine Hypnose machen, um all die verdrängten Erinnerungen herauszuspülen, die sich auf dem Amtsflur (wie auch schon beim kürzlichen Besuch deines ollen Gymnasiums) in Form einer Panikattacke regten.
Aber nu, mit der Nummer in der Hand konntest du dir sagen, bloß Aufstocker zu werden und dies auch nur für ein, zwei Sommermonate, in denen auf der Nordhalbkugel die ganze Wirtschaft brach liegt, weil alles in den Urlaub abhaut.
So leicht ist das aber gar nicht mit Hartz IV, von wegen Antragswerk mitnehmen und zu Hause ausfüllen. Näh, sagt die Sachwalterin, du musst nachmittags zur Bedarfsprüfung wiederkommen. („Bedarfsprüfung“ klingt netter als „Bedürftigkeitsprüfung“, meint freilich dasselbe.) Nachmittags? „Da habe ich keine Zeit, da muss ich die Buchhaltung und Halbjahresbilanzen machen!“
Zack, bist du aus der Rolle des Bedürftigen gefallen. Dass du nichtmal semantisch länger als ein paar Sekunden auf den Knien bleiben kannst!

Hilft nichts, ein Ferienjob muss her. Ein Lob auf den Standortfaktor: Tourismusregion + Hochsaison = einfache Bewerbungsgespräche. Jetzt aber erstmal Umsatzsteuer ausrechnen und dem Finanzamt melden. Und heute Abend gibt’s wieder Bier statt Brennnesseltee.

Nachtrag, 18:30 Uhr:
Die Buchhaltung hat’s mal wieder erwiesen: Der Grund, aus dem du heute deutlich schlechter dastehst als vor einem Jahr, liegt daran, dass du bis letzten Sommer noch den Gründerzuschuss von der BA bekommen hast. Diese 300 Klötze pro Monat haben schon einiges ausgemacht.
Wenn du dir dann noch vor Augen hältst, wie viel Geld du in den Lichtwolf buttern musst, um ihn für Honorarzahlungen usw. liquide zu halten, ergibt sich
(1) gehöriges Staunen über deine doch beträchtliche Wirtschaftskraft und
(2) die Frage, ob ihr das Vieh dann nicht auch komplett umsonst machen solltet.
Wenn du nämlich so oder so ordentlich draufzahlen musst, können die Beiträger der „Zeitschrift trotz Philosophie“ zumindest die Leserzahl im Internet finden, die sie verdient haben. Als schickes Heft kann man das Ding dann natürlich auch weiterhin kriegen. Bitte mal die Kollegen Frost und Helming um Rat.

2 Gedanken zu „Oh, Hartz Times, come again no more“

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