Biomathematik

„Mathematics is the language of nature.“
-„Pi“, 1997

Der heutige Versuch, die Doldenblütler, die hinterm Weiher wachsen, als Schierling oder Nicht-Schierling zu identifizieren, führte mal wieder zu ganz anderen, unerwarteten Ergebnissen. Ob das Zeug nun die Pflanze ist, deren zerstoßene Samen das Alkaloid Coniin freisetzen, das schon in geringer Menge zu Atemlähmung und Ersticken bei vollem Bewusstsein führt (armer Sokrates), ist nach wie vor unklar, dafür aber hat sich einmal mehr die prästabilisierte Harmonie in Form von Mathematik offenbart.

Wer den Lichtwolf kennt, weiß, dass der metteur en pages Georg Frost vom Goldenen Schnitt ebenso besessen ist wie von der Fibonacci-Reihe: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144… (Jede Zahl > 1 ist die Summe ihrer beiden Vorgänger.)
Beide mathematischen Phänomene hängen auf faszinierende Art zusammen: Eine Möglichkeit, den Quotienten 1,618 zu erhalten, mit dem sich alles Mögliche im Verhältnis des Goldenen Schnitts teilen lässt, besteht darin, eine Fibonacci-Zahl durch ihren Vorgänger zu teilen. Je weiter man dabei in der Fibonacci-Reihe vorangeht, desto mehr nähert sich der Quotient demjenigen des Goldenen Schnitts an. Von 5 : 3 = 1,667 über 144 : 89 = 1,61798 bis zu 6765 : 4181 = 1,6180339 und weiter; mit dieser Zahl lassen sich nicht nur harmonische Teilungsverhältnisse schaffen, sie ist darüber hinaus auch die einzige, deren Nachkommastellen sich im Kehrwert nicht verändern. (Im kommenden Lichtwolf Nr. 30 gibt es einen Fnord-Repord darüber.)

Die berühmteste Veranschaulichung ist die Blüte der Sonnenblume, deren Samen in Fibonacci-Spiralen angeordnet sind und dadurch maximale Lichtausbeute erreichen. Dies ist zugleich das beste Beispiel, wie häufig dieses mathematische Muster in der Natur vorkommt.
Heutzutage gibt es ja für alles eine Mathematik und/oder Informatik, so auch für die Biologie. In der Hauptsache ist die mathematische oder theoretische Biologie nichts weiter als Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung, um Populationen, Verbreitungsgebiete usw. mit der nötigen Empirie zuleibe zu rücken. Fibonacci hat die nach ihm benannte Zahlenreihe durch ein Gedankenexperiment über eine Kaninchen-Population aufgestellt: Demnach verdoppelt sich die Zahl der Kaninchenpaare jedes Jahr, wobei jedes Kaninchenpaar drei Jahre alt wird:

Jahr 0: 1 lebendes Paar – 0 tote Paare = 1
Jahr 1: 1 lebendes Paar – 0 tote Paare = 1
Jahr 2: 2 lebende Paare – 0 tote Paare = 2
Jahr 3: 4 lebende Paare – 1 tote Paare = 3
Jahr 4: 6 lebende Paare – 1 tote Paare = 5
Jahr 5: 10 lebende Paare – 2 tote Paare = 8
Jahr 6: 16 lebende Paare – 3 tote Paare = 13
Jahr 7: 26 lebende Paare – 5 tote Paare = 21
Jahr 8: 42 lebende Paare – 8 tote Paare = 34
Jahr 9: 68 lebende Paare – 13 tote Paare = 55
Jahr 10: 110 lebende Paare – 21 tote Paare = 89 usw.

Ironischerweise ist von dieser faszinierenden Zahlenreihe in dem Gebiet der Biomathematik, dem sie entsprang, kaum noch die Rede, dafür jedoch in der Blattstellungslehre umso mehr. Die Sonnenblume ist bereits genannt worden und auch sonst achten erstaunlich viele Pflanzen darauf, dass ihre Blütenstände und Blätter in Fibonacci-Mustern oder Goldenen Winkeln (ca. 137,5°) übereinanderstehen. Auf die Weise kann kein Blatt ein anderes völlig überdecken und jedes hat seinen Platz an der Sonne.

Während also das Blatt des untersuchten Doldenblütlers trotz unzähliger Bestimmungsbücher die Zweifel, ob’s nun Schierling ist oder nicht, unangetastet ließ, wuchs der Verdacht, hier könnten zumindest obige Muster gefunden werden. Und in der Tat:

Schierlingsblatt und Goldener Schnitt.
Schierlingsblatt und Goldener Schnitt.

Die Blätter haben allesamt Außenwinkel von 137,5° (=360° – 360°:1,618) – und wer bei den orange gepunkteten Linien an Hanf oder Kanada denkt, wird einsehen, wie verbreitet der Goldene Winkel ist.
Der zweite Verdacht indes bestätigte sich gerade nicht: Die Abstände zwischen den Blattstengeln von der Spitze ausgehend (rot, gelb, blau) schienen zunächst in den Schritten der Fibonacci-Reihe zuzunehmen. Stattdessen zeigten sich andere Verhältnisse: Von der Blattspitze (rechts) ausgehend ist das Verhältnis der Abstände zwei Stengel etwa 5:3 (=1,667), was noch durchaus in der Reihe ist. Die nächsten Abstände dagegen teilen sich in Verhältnissen, die – trotz der ungenauen Messung – allesamt erstaunlich nah bei √3 (=1,732) liegen. Das Verhältnis der Abstände ganz links dagegen liegt ziemlich nahe an √2 (=1,414). Hier müssen weitere und genauere Messungen her; ob das Zeug nun Schierling oder Giersch oder Schafgarbe ist, sei auch weiterhin nachrangig.

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