Zynismus vermeiden

Den Vormittag verbrachtest du mit deinen blöden Kids, die dich zunehmend fertigmachen. Sie werten jede Freundlichkeit als Schwäche und sind nur da schlau, wo es darum geht, sich vor Aufgaben zu drücken.
Womöglich ist dein Unterricht auch immer noch viel zu anspruchsvoll. Einmal wolltest du nur schnell am Rande erklären, dass Artikel immer ein Hauptwort anzeigen und dieses immer großgeschrieben wird. Da zückten auf einmal alle ihre Stifte und schrieben sich das unter begeisterten Ausrufen auf, das hätte man ihnen doch auch mal in der Schule sagen können!

Man muss sich von dieser „Gangsta’s Paradise“-Vorstellung lösen, mit Weltliteratur die Herzen und Hirne der Schützlinge zu erreichen und aus ihnen Jugendrichter und Nobelpreisträger zu machen. „Good Will Hunting“ – hat Matt Damon auch nur einen Tag in so einer Post-Sonderschulklasse gestanden?!
Mit der Chancengleichheit ist es aus, wenn Eltern ihre Kinder nicht so erziehen, dass sie auch etwas von der Schule haben. Vielleicht ist das der Irrsinn, der dich am meisten zermürbt: Dass auf den Straßen grotesk ungebildete Freaks in dicken Autos rumbrummen, fahrradfahrende Gymnasiasten auslachen und sich nicht einmal vorstellen können, dass irgendwas in der Welt oder gar sie selbst anders sein könnten.

Jenseits all dessen ist es täglich die schwere Aufgabe, nicht in den Zynismus zu verfallen, den diese Clowns zu verlangen scheinen. Sie kennen nichts anderes als Ignoranz und Anbrüllen, so benehmen sie sich auch und halten Aufmerksamkeit für Schwäche. Natürlich würde es manchen gut tun, durch die Bundeswehr-Grundausbildung geschleust zu werden, schon um ihnen das ständige Jammern auszutreiben („Sooo viel Text?! Das soll ich alles schreiben?! Hausaufgabe über das Wochenende?! Es ist sooo kalt hier! Es ist sooo hell hier!“). Indes brächte das nur Symptome der Ignoranz zum Erliegen, sie würden selbst beim Bund Wege finden, sich irgendwie durchzuwurschteln, ohne den geringsten Funken Disziplin anzunehmen. Womöglich ist es wirklich zu spät, um ihnen klarzumachen, dass ihnen außerhalb der Kurse nichts und niemand helfen wird, sie nichts geschenkt kriegen und sich ihre Ziele selber suchen müssen. Denn geschenkt kriegen sie Hartz IV, das in manchen Fällen über deinem monatlichen Einkommen liegt, und Ziele lassen sie lieber sein, weil das ja eh alles nichts bringt.

Es ist sehr schwer, darüber nicht zynisch zu werden und ihnen mit kalter Härte zu begegnen, wo doch Offenheit einem nur schadet. Du kannst von Glück reden, diesen Job nur als Brotberuf zu betrachten und dich ziemlich schnell von idealistischen Vorstellungen verabschiedet zu haben. Die nämlich brächen einem das Genick.
Der Lehrerberuf ist eine treffliche Verkörperung des Sisyphos-Mythos. Den alten Stone-Roller muss man sich nach Camus als glücklich denken, weil er alle Hoffnung hat fahren lassen und nur noch in der Gegenwart bei seinem Stein ist. Der Lehrer, insbesondere der viel geschmähte Sozialpädagoge kämpft Tag für Tag mit unreifen Existenzen, deren Reife oft genug nur in deren endgültigem Scheitern besteht. Wer diesen Fels hochstemmt und hofft, ihn ein für alle Mal auf dem Gipfel platzieren zu können, muss irgendwann zum Trinker und/oder zum Zyniker werden, der den Kinderchen den Idealismus verübelt, mit dem er sich in seine Aufgabe gestürzt hat.

Denn natürlich sind diese Doofies nur darum so zynisch, weil ihnen immer mit dem Zynismus begegnet worden ist, den es unbedingt zu vermeiden gilt, selbst wenn man sich dadurch lächerlich macht. Man darf nichts erwarten, nur Stunde um Stunde aufmerksam bleiben, was gerade zu tun ist.

Bei den meisten Kinderchen gelingt es dir nicht einmal, wenigstens diese Verbindung aus Ignoranz und Überheblichkeit aufzubrechen, diese unsympathischste Art der Dummheit. Als ob du es auch noch nötig hättest, dich von diesen Schwachmaten für dumm verkaufen und verachten zu lassen.
Heute hast du dich wieder mit einem Spezialisten angelegt: Ein verwöhntes Muttersöhnchen, dessen Erziehung im Prinzip aus Haben-wollen und Kriegen bestand. Keinen Schulabschluss, aber iPhone und tiefergelegte Karre. Aus seinem üblichen Phlegma erwacht er nur, wenn du Kritik an seinem Arbeitsverhalten übst oder ihm eine 4- zur Warnung gibst. Dann blühen bei ihm Spitzfindigkeit und rasender Zorn auf. Alles, was man ihm erklärt, hat er nach fünf Minuten vergessen, und er stellt immer dieselben Fragen. Du glaubst nicht, dass er sich dumm stellt. Vielleicht hat er zu wenig Luft bei der Geburt bekommen, denn irgendwelchen Drogen hat er seine Dauerumnebelung nicht zu verdanken (und ist damit eine Ausnahme). Heute meinte er, er hätte den Stauffenberg-Film mit Tom Cruise gesehen. Darin bringen die doch Hitler im Kino um, oder? Es stellte sich heraus, dass er „Inglourious Basterds“ gesehen und Tom Cruise mit Brad Pitt verwechselt hatte. Gut zu wissen, dass Hollywood es auf sich nimmt, das Prekariat in Geschichte zu unterrichten.

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